Der Tod bin ich
könne nicht in einem System leben, das seinen Vater aus politischen Gründen ins Gefängnis wirft.
– Das klingt gut.
– Sehen wir auch so. Vor allem weil die Geschichte stimmt. Das Verfahren ist noch nicht durch, aber wir tendieren dazu, seine Anerkennung als politischer Flüchtling zu empfehlen.
– Habt ihr etwas mit ihm vor?
Miller lachte.
– Was sollten wir mit ihm anstellen? Hilfe braucht er auch nicht. Ich denke, der Mann ist kein Problemfall. Wenn sich seine Ausbildung herumgesprochen hat, kommt der überall unter.
Joe dachte nach.
– Sie haben recht, ich sollte unbedingt mit ihm reden. Wo steckt er?
– Ist bei uns bis auf Weiteres im Männerbau in Block C untergebracht.
– Kann ich Ihr Büro benutzen?
Miller stockte.
– Mache ich im Prinzip gerne, aber warum wollen Sie unter unserer Flagge segeln?
– Ist sicherer.
Miller zögerte.
– Bin ich bei den Gesprächen dabei?
– Tut mir leid.
Joe hakte gleich nach, um die Skepsis seines Gesprächspartners zu zerstreuen.
– Möchten Sie Ihren Vorgesetzten einschalten?
Miller scharrte unentschlossen mit den Füßen.
– Okay. Aber ich schreibe meinem Chef eine Aktennotiz. Unter welcher Bezeichnung läuft Ihre Abteilung?
– Citizen Services. Presse und Öffentlichkeitsarbeit.
– Gibt es doch gar nicht.
– Genau, Sergeant. Das trifft den Nagel auf den Kopf: Uns gibt es gar nicht. Wir sehen uns am Mittwoch. Zehn Uhr. Bringen Sie den Mann bei, sagen Sie ihm einfach, Lieutenant Crookshank möchte ihn sprechen.
Joe legte auf.
7.
Joe überquerte den begrünten Innenhof des Aufnahmelagers. Es herrschte reges Treiben: Gruppen junger Männer standen zusammen und scherzten, Frauen hängten an lang gezogenen Leinen Wäsche auf, Kinder tollten umher. Sah für ein Lager gar nicht so schlecht aus, fand Joe, denn er hatte selbst schon viel Zeit in Kasernen verbracht.
– Haben Sie vielleicht eine Zigarette für mich?
Joe taxierte den Jungen, hätte ihm das Gewünschte auch ohne Weiteres angeboten, aber hinter ihm lauerte eine ganze Gruppe weiterer möglicher Bittsteller, sodass er einfach nur den Kopf schüttelte. Er betrat das Verwaltungsgebäude und fragte nach Sergeant Miller.
Miller hatte bereits seinen Schreibtisch aufgeräumt, Akten in den Schrank, den Rest in Schubladen weggesperrt. Das Namensschild, das normalerweise seine Tischfront zierte, steckte er in seine Aktentasche. Joe wirkte zufrieden. Alles klappte wie gewünscht, und dass sie Respekt hatten, war der Sache nur förderlich.
– Belobigungen werden von uns logischerweise direkt nach oben durchgegeben.
Miller blickte auf. Seine finstere Miene entspannte sich.
– Irgendwas Besonderes noch bei dem Burschen? Welche Anhaltspunkte können Sie mir geben?
– Er ist Anhänger der Anti-Atomtod-Bewegung. Ein Pazifist.
– Ein ostdeutscher Atomphysiker? Interessant. Andererseits: Die FDJ ist ja auch Teil der Friedensbewegung hierzulande. Aber mit den gut gefüllten Waffenarsenalen im Osten haben sie kein Problem.
– Oftenhain ist wirklich dagegen. Seine Haltung entspricht der Göttinger Erklärung, mit der sich die Prominenz der deutschen Physik gegen Atomwaffen ausgesprochen hat. Unser Mann ist also in bester Gesellschaft.
– Verstehe, sagte Joe nach einigem Nachdenken. Das mit seinem Pazifismus ist ein guter Punkt. Sie kennen sich aus mit den Verhältnissen hierzulande!
Miller nickte.
– Ich denke, ich könnte Ihre Mithilfe doch gut gebrauchen, Sergeant. Haben Sie schon mal den Bösewicht gespielt?
Miller schüttelte den Kopf.
– Ich verstehe nicht.
– Macht nichts. Ich erkläre es Ihnen.
8.
Schon nach einigen Tagen im Lager fiel ich in eine lähmende Depression. Ich bereute meinen Schritt und spielte mit dem Gedanken, wieder zurückzukehren. Ich hatte ein normales Leben gegen die Existenz eines Insassen eingetauscht. Es stank. Nach Kohlsuppe mit Graupen, die wir ständig aßen. Wenn die Putztrupps durch die Blocks marschierten, legte sich scharfer Salmiakdunst wie ein Deckel darüber. Den Fond bildete jedoch ein traniger Ausscheidungsgeruch, ein stockiges Gemisch aus Schweiß, Scheiße und all dem anderen, was Menschen von sich gaben. Im Bett über mir lag ein dicker Ukrainer, der kein Wort Deutsch sprach. Abends saß er am Fenster und weinte. Am schlimmsten war es, ihm in der Toilette zu begegnen. Durch den breiten Schlitz unter der Tür sah man seine haarigen Beine und die heruntergelassenen Hosen. Er verhielt sich ganz ruhig, bis er alleine ungestört
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