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Der Tod bin ich

Der Tod bin ich

Titel: Der Tod bin ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Bronski
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zeitlichen Abstand schien mir eine solche Verabredung abwegig, vor allem dann, wenn ich den Hörer in der Hand hatte und meine vorformulierte Einladung Revue passieren ließ. War das nicht albern und unangemessen, dass ich mich mit einer hübschen jungen Frau einließ, bloß weil sie einer früheren Liebe von mir ähnlich sah? Von der ich sonst kaum etwas wusste? Mein Impuls hatte eine klare Richtung, von den dann einsetzenden Überlegungen wurde er jedes Mal wie in einer Häckselmaschine kleingemacht. Ich schob die Entscheidung vor mir her und vertrödelte meine Zeit im Büro, sortierte Papiere und besuchte drei Mal die Kantine, um mich abzulenken.
    Ich schämte mich für diese Anwandlungen von Hilflosigkeit. Zugleich machten sie mich wütend, denn plötzlich gab es keinen geraden Weg mehr, die Verbindung von Punkt zu Punkt bildete keinen tatkräftigen Entscheidungspfad mehr, sondern stellte nur eine Plumpheit dar. Wenn ich den Wunsch, mich mit Ella zu verabreden, wegargumentiert hatte, erstand er hinterher umso drängender. Als entschwindendes Bild erschien sie mir zart und begehrenswert, und ich verspürte Beklemmungen, als handelte es sich um einen Abschied für immer.
    In dieser Situation überkam mich das Bedürfnis, meine Nöte mit meinen Eltern abzumachen. Was hätten sie mir geraten? Je Unterschiedliches wahrscheinlich. In der Welt meines Vaters ging es klar und übersichtlich zu. Die Dinge und die Menschen hatten ihre Ordnung. Man reichte sich die Hand, wünschte sich einen guten Tag und bot sich einen Kaffee an. Wenn man ein Buch aus dem Regal nahm, stellte man es nach Gebrauch wieder zurück. Auf Fragen gab man angemessene Antworten, Recht und Unrecht waren deutlich geschieden. Man wusste, wofür man in der Welt war und wie man sichzu verhalten hatte. In diesem friedlichen Lebenskreis, dem er vorstand, fühlte ich mich aufgehoben. In dem meiner Mutter kreuzten sich verschlungene Pfade. Aus einem Nein wurde Ja, statt Antworten erntete man ein Lachen, aus einer Missetat entsprang Gutes. Ich bewunderte und liebte ihre Überraschungen und Geheimnisse, aber den Schlüssel dazu besaß nur sie. Ich war nur ein Gast in ihrer Sphäre, den sie wie einen Blinden führen musste. Ihre Künste habe ich nie gelernt. Jetzt hätten sie mir gut angestanden.
    Statt die Zeit mit Grübeleien und nutzlosen Verrichtungen totzuschlagen, hätte ich diesen Tag besser zu Hause verbracht, aber es gab eine Instanz in mir, vor der ich zumindest glaubte so tun zu müssen, als hätte ich reichlich zu arbeiten. Am Spätnachmittag hatte sich dieses verdrehte Verhalten in mir zu einem so großen Überdruss aufgeschichtet, dass ich kapitulierte und meine Aktentasche packte.
    Da klingelte das Telefon.
    – Eine junge Dame ist hier, sagte der Pförtner. Sie hat nur ihren Vornamen genannt: Ich soll Ella bei Ihnen anmelden. Kann ich sie hochschicken?
    Ich erschrak.
    – Ja.
    In den paar Minuten, die sie brauchte, um zu mir in den zweiten Stock zu kommen, versuchte ich den selbst verschuldeten Ballast, den ich auf mich gehäuft hatte, beiseitezuschieben.
    – Störe ich?
    Sie hatte geklopft und streckte den Kopf herein.
    – Nein. Ich bin froh, dass du gekommen bist.
     
18.
    Wir fuhren mit der Straßenbahn in die Innenstadt. Ich war zwar nun schon einige Jahre in München, aber touristisch war ich nie unterwegsgewesen. Ich wusste gar nicht, was ich Ella eigentlich zeigen sollte. An der Mariensäule wurde mir zudem deutlich, wie wenig ich über die Stadt und ihre Sehenswürdigkeiten wusste. Natürlich stand obenauf Maria, aber was die vier Engel auf dem Sockel zu bedeuten hatten, war mir nicht gegenwärtig. Ich kaufte in der Rathaus-Buchhandlung einen Führer, mit dem wir über die Kaufingerstraße, zum Dom, zur Feldherrnhalle, Residenz und dann zum Alten Hof zogen.
    Ein für Ende September milder Abend war heraufgezogen. Wir saßen auf den Stufen des vor Kurzem wiederaufgebauten Nationaltheaters und schauten nach Westen, wo die untergehende Sonne einen dramatischen Himmel aus roten, grauen und weißen Wolkenfetzen modellierte. Ich spürte Ella an mich gelehnt, aus ihrer warmen Aura roch ich eine Ahnung von Heublumen heraus. Vorsichtig legte ich meinen Arm um sie. Ihr Atem ging ebenso schwer wie meiner, als lasteten Gefühle wie Gewichte auf uns. Bis eben hatte ich diese Vertrautheit herbeizureden versucht und mir dieses einträchtige Beisammensein mit ihr gewünscht, und jetzt, wo sie diesen Wunsch erwiderte, hatte keiner von uns mehr das

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