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Der Tod bin ich

Der Tod bin ich

Titel: Der Tod bin ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Bronski
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Bedürfnis zu sprechen.
    Als ich sie später fragte, ob sie etwas essen wolle, schüttelte sie den Kopf. Ich nahm ihre Hand, und wir spazierten die Ludwigstraße nach Schwabing hinunter. Ungefragt steuerte ich den Habsburgerplatz an. Unten auf der Straße verabschiedeten wir uns. Ihre heiße Wange ruhte auf meiner, dann gab sie mir einen Kuss und verschwand in der Tür.
    Es war spät geworden, fast Mitternacht, als ich über die Münchner Freiheit nach Hause kam. Ich holte mir aus der Wirtschaft neben an noch eine Flasche dunkles Bockbier, die ich oben in meiner Wohnung bei geöffnetem Fenster trank. Eine frische, würzige Kühle wehte vom Englischen Garten herein. Das malzig-süße, fast zähflüssig wirkende Bier löschte irgendwann alle seligen Gedanken aus, denen ich nachhing. Dann schlief ich auf dem Sofa ein.
    Plötzlich fuhr ich hoch. Jetzt hörte ich ganz deutlich das Klingeln an der Tür. Ich sprang auf. Ella stand draußen. Sie umarmte mich wortlos. Dann schaltete sie alle Lichter in meiner Wohnung aus.
     
19.
    Ich hatte einen langen Arbeitstag hinter mich gebracht. Ohne Pause war ich über Berechnungen gesessen, die eine so beständige Konzentration erforderten, dass ich mir nur Kaffee und ein belegtes Brot nebenbei gestattete. Wenn ich morgens das Manuskript mit meinen mathematischen Skizzen aufschlug, war mein Blick noch distanziert, so als hätte ich eine Sternenkarte vor mir liegen. Vertiefte ich mich stärker hinein und nahm die Problemstellungen erneut an, wurde das Bild dreidimensional und ein Raum voll schwebender Lichtpunkte stülpte sich über mich. Jedem einzelnen war eine unterschiedliche Tonhöhe zugeordnet, ein Sirren oder Brummen, schneidend hell oder tief schwingend dunkel. Der Rechengang, den ich mir vorstellte, zeichnete eine Figur in dieses Gewimmel, so wie auf Sternenkarten der Große Wagen, Perseus oder das Haar der Berenike markiert sind. Ließ meine Anspannung nach, entfernte sich der Raum von mir und ich hatte einen pulsierenden Lichtorganismus mir gegenüber, in dem das einzelne Element in der Gestalt des Ganzen untergegangen war.
    Ich entschied mich daher kurzerhand, zu Fuß nach Hause zu gehen. Bei zügigem Tempo konnte man den nördlichen Teil des Englischen Gartens in einer Dreiviertelstunde durchqueren. Die frische Luft tat mir wohl, und ich schüttelte alles ab, was mich so in Beschlag genommen hatte. Ich dachte an Ella und freute mich auf den Abend mit ihr.
    Die Dämmerung zog herauf und die lebhaften frühherbstlichen Farben des Parks kippten ins Grau. In der Nähe des KleinhesseloherSees hatte ich das ungute Gefühl, dass mir jemand folgte. Ich setzte mich auf die nächste Bank, um den kleinen Mann, der seine Mütze tief ins Gesicht gezogen hatte, passieren zu lassen. Zu meinem Erschrecken steuerte er jedoch auf die Bank zu und nahm neben mir Platz.
    – Er möchte dich sehen.
    Jetzt erkannte ich Helmut. Er trug eine schwarze Lederjacke, saß zurückgelehnt und hakte seine Daumen in die beiden oberen Taschen.
    – Das geht nicht. Ich bin verabredet.
    Helmut lachte.
    – Mit der Kleinen?
    Er beugte sich zu mir herüber. Dabei buchtete sich seine Jacke aus und gab den Blick auf einen Revolver frei, den er in einem Schulterhalfter trug.
    – Es wäre besser, du würdest seiner Einladung Folge leisten.
    – Wann denn? Und wo?
    Helmut stand auf und winkte.
    – Komm.
    Er führte mich zum See. Der Uferweg war menschenleer. Beim Bootsverleih erkannte ich eine Gestalt. Malikow saß an den Rand eines Kahns gelehnt. Als er uns kommen sah, bestieg er das Boot.
    – Da hinein, sagte Helmut und wies auf die Ruderbank.
    Ich gehorchte. Helmut gab dem Boot einen Stoß, und wir glitten auf den See hinaus.
    – Zur Königsinsel, kommandierte Malikow.
    Ich brachte die Ruder zu Wasser und begann uns in vorsichtigen Zügen vorwärts zu bringen.
    – Ist gut so, sagte Malikow nach einer Weile.
    Das Boot schwankte ein wenig und drehte sich, als ich die Ruder wieder einzog.
    – Sergeant Rothfuss hat dir einen Besuch abgestattet?
    Ein heilloser Schreck erfasste mich. Sie wussten also Bescheid. Ich schwieg.
    – Ist das so eine Art Geständnis?
    Etwas fuhr durch die Luft und landete auf meinen Schultern. Als ich beiseiteblickte, bemerkte ich eine Schlinge um meinen Hals.
    – Wie du weißt, ist der Englische Garten neuerdings ein beliebter Ort für Selbstmörder.
    In meiner verzweifelten Angst trat mir Ella vor Augen. Als müsste ich ihr nun Lebewohl sagen. Malikow führte das Seilende durch eine

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