Der Tod des Chefs/Mord mit doppeltem Boden
lächelnd
durch das Gewühl, während ich versuchte, Jesse im Auge zu behalten. Als ich zum
Portal kam, stieg er drüben auf der anderen Straßenseite gerade in seinen alten
Chevrolet. Wie eine Besessene raste ich zu meinem Wagen auf den Parkplatz. Ich
durfte ihn jetzt nicht verlieren.
An der Ausfahrt vom Parkplatz mußte ich
warten, um zwei alte Damen vorüberzulassen. Dann gab ich Gas und schoß auf die
Straße hinaus. Jesse war bereits an der nächsten Ecke und bog links ab.
Ich überfuhr das Stoppzeichen, dann
nahm ich Gas weg. Der alte Chevy war leicht im Auge zu behalten, und ich wollte
nicht, daß Jesse mich hinter sich bemerkte. Alle Verkehrsregeln brav beachtend,
fuhr ich hinter ihm her und dachte die ganze Zeit daran, daß ich meinen
Führerschein nicht bei mir hatte.
Auch Jesse fuhr langsam, als wüßte er
nicht recht, wohin er wollte. An der State Street bog er wieder links ab und
fuhr bis zur Cabrillo-Straße hinunter, die direkt am Wasser entlangführte. Dort
bog er ab und fuhr in nördlicher Richtung, an den Stränden und am Jachtclub
vorbei. Am Shoreline-Park lenkte er seinen Wagen auf den fast leeren Parkplatz.
Ich hielt an, weil ich fürchtete, er
würde mich sehen, wenn ich auf den Parkplatz abbog. Die Sonne war
untergegangen. Ein Abglanz ihres Lichts spielte noch über das blaugraue Wasser.
Der Park selbst war dunkel. Jesse fuhr bis zur vordersten Parkreihe. Seine
Bremslichter flammten auf und erloschen. Ich konnte im verblassenden Licht die
Silhouette seines Kopfes erkennen. Er schien aufs Meer hinaus zu blicken.
Was tat er dort? Wenn er der Mörder
war, hätte er jetzt im Keller sein und die milagros herausholen müssen.
Endlich ging die Tür des Chevy auf, und
Jesse stieg aus. Einen Moment blieb er neben dem Wagen stehen, dann ging er
über den Rasen in die Bäume. Ich fuhr auf den Parkplatz, ließ den Wagen stehen
und folgte. Er ging langsam auf die kleine Landzunge zu, von der man weiten
Blick auf das Meer hatte, und setzte sich dort an einen Picknicktisch. Ich
wartete im Schatten.
Ungefähr fünf Minuten saß Jesse so. Es
wurde jetzt rasch dunkel, und ich konnte ihn kaum noch erkennen. Dann stand er
auf und ging zu einem Grillplatz in der Nähe. Sekunden später sah ich ein
Streichholz aufflammen, gleich darauf schoß eine Flamme in die Höhe.
Was verbrannte er da? Beweismaterial?
Ich rannte über das Gras.
Er wirbelte herum, als er mich hörte.
Er ließ den brennenden Gegenstand auf den Grillplatz fallen. Ich versuchte, ihn
zu fassen, aber ich verbrannte mir die Finger und zog hastig die Hand zurück.
»Was hat das zu bedeuten?« fragte ich.
»Was tun Sie hier?«
Jesse starrte mich an. Sein Gesicht
wirkte verkrampft und angespannt im Schein der Flammen. Dann wich plötzlich
alle Spannung von ihm. Er schien in sich zusammenzusinken wie ein Geschlagener.
»Ich glaube, wir müssen miteinander
reden«, sagte er.
16
»Warum haben Sie ihn getötet?« fragte
ich.
Er sah mich perplex an. »Frank, meinen
Sie? Ich habe ihn nicht getötet.« Er setzte sich wieder an den Picknicktisch,
die Schultern nach vorn gekrümmt.
Mit einer Mischung aus Erleichterung
und Enttäuschung setzte ich mich zu ihm. Vielleicht war Jesse wirklich nicht
der Mörder. Aber was hatte er dann in Marias Schreibtisch zu suchen gehabt? Und
was hatte er verbrannt?
Wir saßen Seite an Seite, ohne einander
anzusehen. Schließlich sagte Jesse: »Sie haben mich an Marias Schreibtisch
gesehen, nicht wahr?«
»Ja. Ich war in meinem Büro.«
Wieder schwieg er. »Maria bat mich,
etwas herauszuholen«, sagte er dann. »Sie gab mir ihren zweiten Schlüssel.«
»Und was sollten Sie holen?«
»Briefe.« Er griff in seine
Jackentasche und legte mir ein Bündel Briefe in den Schoß. »Sie hatte sie in
ihrem Schreibtisch eingeschlossen. Aber nachdem Sie den einen Schlüssel an sich
genommen hatten, war ihr nicht mehr wohl. Deshalb bat sie mich, sie zu holen
und zu vernichten.« Ich sah auf die Briefe hinunter. Die Umschläge trugen weder
Marke noch eine Adresse.
»Von wem sind sie?«
»Von Frank.«
Überrascht sah ich ihn an.
Jesse senkte die Lider. »Ja. Von Frank.
Liebesbriefe.«
Erst Gloria Sanchez, nun Maria. Ich
hätte es mir nicht träumen lassen. Deshalb also war Frank so schlecht auf Jesse
zu sprechen gewesen — nicht weil er Maria für seinen Bruder haben wollte,
sondern weil er sie selbst wollte.
»Wissen Sie das schon lange?«
»Nein. Erst seit heute abend.« Seine
Stimme klang brüchig,
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