Der Tod des Landeshauptmanns
die Geschehnisse in diesem wichtigen ehemaligen Sowjet-Satelliten auf dem Laufenden zu halten. Oder – manchmal scherzte er selbst darüber – er sei nach Kiew übersiedelt, weil man dort noch überall Zigarren rauchen durfte, etwas, das in seinem Land – und in Maryland im Besonderen – schon fast als Verbrechen galt.
Nun saßen sie am Tisch, Bob, seine Frau Patricia, David und Eleanor. Patricia hatte ein ganzes Hühnchen zubereitet, die Krimnicks erinnerten sich, dass sie das auch schon letztes Mal, allerdings war das schon lange her, vorgesetzt bekommen hatten. Das besonders Praktische an diesen Zusammenkünften war, dass man die Polugrens zu Fuß besuchen konnte. Konnte – sie waren schließlich nur fünf Gehminuten von den Krimnicks entfernt, aber man musste nicht, vor allem, wenn man eine Flasche Wein und einen Blumenstrauß mitbringen wollte. Dafür erwies sich der sechszylindrige Volvo SUV, den meist Eleanor benutzte, gerade als passendes Transportmittel.
Nur mit einem konnten sich die Krimnicks schwer abfinden: Bei den Polugrens sah es immer so aus, als hätte gerade eine Bombe eingeschlagen. Wohin man blickte, überall lagen Papiere, Bücher, leere Pizza-Schachteln, aus denen noch Ansätze von Käseresten heraushingen, die Küche hatte schon wochenlang keinen Generalputz mehr gesehen. Lediglich im Esszimmer wurde kurzfristig alles zur Seite geräumt, um so etwas wie Gemütlichkeit zu erzeugen, vorwiegend aber, um Platz für vier Stühle und ein Abendessen zu schaffen.
Bob säbelte ein Stück vom Hühnchen ab, das braungebrannt in einer Glaspfanne brutzelte. Gleichzeitig berichtete er über die komplexe politische Lage in der Ukraine: von den beiden Seiten, einer pro-russisch eingestellten und einer, die das Land lieber zum Westen hin ausrichten wollte. „Kürzlich ist ein oppositioneller Politiker verschwunden, er war Parlamentsabgeordneter, sehr ehrgeizig, er hatte mehrmals die USA besucht, um sich hier Wahlkämpfe anzusehen. Ich habe gehört, er wollte den Parteivorsitz übernehmen. Aber daraus wird nun wohl nichts mehr: Sie haben ihn aus einem Stausee gefischt. Erst hieß es, er habe Selbstmord begangen, aber dann wurde klar, dass ihn jemand umgebracht hatte.“ Patricia sah Bob an, ihr Blick verriet, dass sie sich um ihren Mann ängstigte. Sie hatte ihm schon öfter geraten, sich einen neuen Job zu suchen, als Rechtsanwalt hätte er in Washington mindestens genauso viel verdient, aber Bob reiste immer wieder zurück nach Kiew. „Aha, wer hat ihn ermordet?“ David stellte die Frage so unverdächtig wie möglich. Niemand, nicht einmal seine Frau, wusste, dass er selbst gerade mitten in einem Mordszenario war, außerdem: Es hatte ja noch niemand sein Leben lassen müssen, aber die Pläne waren schon weit gediehen.
Patricia nahm die Salatschüssel und reichte sie an Eleanor weiter. „Das wissen wir noch nicht, äh“, und Bob merkte, dass er gerade dabei war, einen schweren Fehler zu begehen, „äh, die Behörden haben den Fall noch nicht aufgeklärt.“ Und dann erzählte er – „Ich hab das alles nur aus den Zeitungen, und was mir so die Kollegen zustecken“ –, dass der Mord ganz besonders gefinkelt abgelaufen sein musste. Jedenfalls war der Abgeordnete nicht im Stausee ertrunken, das hatte man bald festgestellt, denn es fand sich kein Tropfen Wasser in seiner Lunge, nein, er musste vergiftet worden sein, aber was für ein tödliches Mittel verwendet worden war, habe man noch immer nicht herausgefunden. „Hat man nicht vermutet, dass Papst Johannes Paul I. auch auf solche Art gestorben ist?“, warf Eleanor ein. Sie erinnerte sich, dass damals viel darüber geschrieben worden war, weil das Oberhaupt der katholischen Kirche nur wenige Wochen im Amt war. „Hatte nicht die Mafia damit etwas zu tun?“ Jetzt war es Patricia, die ihren Beitrag zur Diskussion beisteuerte. David selbst wollte sich nicht mehr einmischen, wollte dieses Thema am liebsten beendet sehen. Doch Bob hatte noch nicht genug ausgeplaudert. Er wusste selbst am besten, wie viel er sagen konnte, ohne zu den Gerüchten beizutragen, dass seine Funktion in der Ukraine eine ganz andere war, als er öffentlich kundtat. „Na ja, es gibt ja genug Gifte, die keine Spuren hinterlassen: Arsen, wenn man es in richtiger Dosierung verwendet, oder Rizin.“
Die Konversation am Tisch ging nach der morbiden Diskussion dann doch irgendwie auf die Kinder über. Susan, Bobs und Patricias Tochter, und Ross waren fast gleich alt, die Zeit
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