hierher.“
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[email protected] David und Peter trafen sich wieder in Georgetown. Beide hatten ihr Büro in der Mittagspause (oder jedenfalls zu dem Zeitpunkt, an dem die Kollegen, die weniger beschäftigt waren, ihre Snacks einnahmen) verlassen und am für sie reservierten Eckplatz im „Bistro Français“ Platz genommen. Das Lokal war nicht groß, David gefielen besonders die massiven Messingrohre, die die einzelnen Abteile abgrenzten und ein wenig den Eindruck eines Hochseedampfers vermittelten. Die Kellnerin war rasch zur Stelle (sie waren nicht überrascht, dass sie sie mit ihrem schönsten Lächeln und einem „Hi, ich heiße Jenny, ich werde Sie heute bedienen“ begrüßte), sie bestellten und kamen dann gleich zur Sache. David konnte es nicht glauben, dass ihr – oder eigentlich war es sein – schöner Plan von oberer Stelle durchkreuzt worden war: „Das ist doch ein Wahnsinn“, sagte er mit gedämpfter Stimme, aber, indem er jedes Wort einzeln betonte, mit besonderem Nachdruck. „Irgendwann werden wir uns dann einen schweren Vorwurf machen. In den letzten Tagen habe ich von unserer Botschaft in Wien wieder Informationen bekommen, dass sich unser Freund“ (nicht einmal im Lokal war David sicher, dass er den Namen Haider aussprechen konnte, ohne Gefahr zu laufen, dass jemand das Gespräch mitverfolgen würde) „mehrmals mit Saif Gaddafi getroffen hat. Angeblich – die Botschaft ist da sehr vorsichtig, und das Ganze ist auch top secret –, angeblich soll es da wieder zu einer größeren Geldübergabe gekommen sein. Sie wissen nicht, wie viele Dollars, es waren sicher Dollar, oder vielleicht waren es auch Euro, jedenfalls, wie viel Geld da den Besitzer gewechselt hat. Aber wir haben einen Mann in der Vier-Länder-Bank sitzen, das ist die lokale Bank, die Haider sozusagen aus der Hand frisst, und der wird uns hoffentlich informieren, wenn das Geld auf dem Konto landet.“ David war sicher, dass es um Millionen ging und dass mit dieser Summe der weitere Aufbau einer Art paneuropäischen Rechten finanziert werden sollte. „Warum sollte Gaddafi denn an einem rechtsradikalen Umschwung in Europa interessiert sein, wenn es überhaupt dazu kommt?“, warf Peter ein. „Er traut den Konservativen und auch den Sozialdemokraten nicht wirklich. Der einzige, dem Gaddafi noch die Füße küssen würde, ist Berlusconi, der Verrückte aus Italien. Aber das hat eher mit den Frauengeschichten zu tun.“ Peter hatte davon keine Ahnung und blickte sein Gegenüber fragend an. „Ach, bei seinem letzten Besuch im Zelt vom alten Gaddafi soll er ihm sozusagen als Gastgeschenk ein besonders junges, hübsches Mädchen mitgebracht haben. Es ist wirklich zum Kotzen, was diese alten Männer aufführen.“
Während Jenny das Essen servierte und guten Appetit wünschte, unterbrachen sie die Konversation, nahmen sie jedoch gleich wieder auf, als sie sich vom Tisch entfernt hatte. „Wie soll es jetzt weitergehen?“, fragte David, auch wenn er für sich schon eine Antwort gefunden hatte. „Keine Ahnung“, erwiderte Peter, „wir lassen die Sache jetzt einmal laufen, und wenn sich unser Verdacht weiter erhärtet, müssen wir es noch einmal versuchen.“
David schnitt ein Stück vom gerösteten Hühnchen ab und ging in sich: Er hatte plötzlich das Bild seiner Urgroßmutter vor Augen, wie sie vor den Nazischergen in Wien die Lebensmittel aufklauben musste, die die Männer, alle waren jung, trugen graue Uniformen und schwarze Stiefel, aus ihrer Handtasche auf die Straße geschüttet hatten. Großvater hatte die Geschichte so oft erzählt, dass David jede Bewegung seiner Urgroßmutter, jedes unterdrückte Schluchzen wie einen Film vor sich ablaufen lassen konnte. Ist es möglich, dass Derartiges wieder geschieht, würden die Menschen wieder zusehen, oder wegsehen, aber jedenfalls nichts dagegen unternehmen, wenn solches Unrecht mit ihren Mitbürgern geschieht? Es war schwer vorstellbar, Europa hatte sich in eine ganz andere Richtung entwickelt, die ärgsten Feinde waren zu Freunden oder zumindest zu Partnern geworden. Dennoch: Er wusste, die Xenophobie war überall dort, wo Ausländer in größeren Scharen auftauchten. Nach dem Krieg in Jugoslawien waren Hunderttausende in den Norden geflüchtet, anfänglich wurden sie noch mit offenen Armen aufgenommen. Schließlich hatten sowohl die Berichte als auch die Bilder vom Balkan alles übertroffen, was man sich an Grausamkeiten vorstellen konnte. Doch