Der Tod des Landeshauptmanns
früheren Zeitpunkt aufgenommen worden war, das wollte er jetzt nicht ausplaudern. „Was meinen Sie, wenige Minuten – wenige Minuten bevor was passiert ist?” Jasmin blickte ihn scharf an, sie erkannte aus seiner Wortwahl, dass Bugelnik mehr wusste, als er ihr mitteilen wollte. „Lassen Sie es mich so sagen: Bevor Stefan offensichtlich durch den geheimen Gang im Keller verschwunden ist, ist ein Fahrzeug aufgetaucht, aus dem Kropfitsch ausgestiegen ist. Unter normalen Umständen hätte Herr Stragger jetzt die Türe öffnen und seinen Kollegen ins Haus bitten können – aber das hat er nicht getan, das wissen wir. Aber bitte, fragen Sie mich nicht, woher wir das wissen.“ Jasmin Köpperls Kopf rauchte, sie war sich im Unklaren, wie sie darauf reagieren sollte. Ihr Verdacht, dass Kropfitsch etwas mit der Flucht Stefans zu tun hatte, erhärtete sich immer mehr. Bisher hatte sie vermutet, die vielen Seiten, die sie mehrmals am Tag per E-Mail zugeschickt bekam, hätten etwas damit zu tun, doch plötzlich kam ihr der Gedanke, dass es noch eine andere Komponente geben müsse. Schließlich war – jedenfalls bisher – der Name Kropfitsch in den E-Mails noch nie aufgetaucht. Andererseits: Was würde noch kommen? Und: Sie hatte keine Ahnung, wie viel von dem, was sie gelesen hatte, auf Wahrheit beruhte, und was einfach erfunden war. Einiges, nein, vieles kam ihr bekannt vor, oder jedenfalls nicht unglaubwürdig, aber Stefan war ein hochbegabter Literat, der würde es auch so formulieren können, dass es sich wie ein Tatsachenroman liest. Bis jetzt hatte Jasmin Köpperl dem Kriminalkommissar nichts von dem Romanfragment erzählt, doch nun hatte sie sich eine Theorie zurechtgelegt: Ich weiß offenbar einiges, was die Polizei nicht weiß, und genauso scheint es auch umgekehrt zu sein. Wir können uns nur gegenseitig helfen, dachte sie. „Herr Inspektor Bugelnik, es gibt da noch etwas, was Sie vielleicht interessiert.“ Und sie griff in ihre überdimensionierte Handtasche, holte einen Stoß DIN-A4-Papiere hervor und überreichte sie dem Kommissar.
Kriminalinspektor Franz Bugelnik rieb sich die Augen. Es war knapp vor Mitternacht, er hatte die rund 50 Seiten, die ihm Jasmin Köpperl übergeben hatte, gerade fertiggelesen. Oder besser: Er hatte sie überflogen, der Inhalt war ihm einigermaßen klar und damit schien auch ein weiteres Rätsel gelöst: Stefan Stragger hatte diese Berichte verfasst und das mochte auch ein weiterer Grund für sein Verschwinden gewesen sein: Irgendjemand musste in Erfahrung gebracht haben, dass der Heeresbeamte jenen Männern auf der Spur war, die – wenn man den Gerüchten, die im Internet herumschwirrten, Glauben schenken durfte – den Tod des Kärntner Landeshauptmannes herbeigeführt haben könnten. Bugelnik war damals auch am Tatort gewesen, er hatte das Fahrzeug gesehen und sämtliche Unterlagen über die Todesursache studiert: Er wusste, dass Alkohol im Spiel war, dass es neblig war, dass Haider einen anstrengenden Arbeitstag hinter sich hatte, dass er mit stark überhöhter Geschwindigkeit unterwegs war – mit anderen Worten, er war immer noch sicher, dass alles so abgelaufen war, wie es die Polizeiberichte zusammengefasst hatten. Doch jetzt kam ein Funke Zweifel hinzu: Was, wenn Stefan Stragger, der ja immerhin beim Heeresnachrichtenamt beschäftigt war, auf Informationen gestoßen war, die den Untersuchungsbehörden nicht vorlagen, oder wenn er über ein Netzwerk von Informanten – man hörte ja immer wieder, dass das HNA sehr enge Beziehungen zu den Geheimdiensten in aller Welt hatte – zu Unterlagen gekommen war, zu denen sonst niemand Zugang hatte? Nur eine Frage konnte Bugelnik zu dieser späten Stunde nicht beantworten: Warum hatte er alles so fein säuberlich, ja geradezu in Romanform, niedergeschrieben? Und warum schickte er es gerade jetzt Jasmin Köpperl? Was wollte er damit erreichen? Der Inspektor legte die Papiere zur Seite und beschloss, vor dem Schlafengehen noch einmal darüber nachzudenken.
Als er dann im Bett lag, wurde ihm plötzlich bewusst, dass immer noch viele Fragen offen waren, die deshalb nicht zu klären waren, weil er nur ein Fragment und nicht die ganze Geschichte gelesen hatte. Immer wieder brach die Story ab, aber so viel hatte er erkannt: Im jeweils nächsten Kapitel gingen die Vorbereitungen der Protagonisten weiter, ganz gleich, ob es jetzt die Amerikaner waren, die Jörg Haider nach dem Leben trachteten, die Israelis oder die Kroaten.
Und
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