Der Tod des Landeshauptmanns
nach und nach wurde es den Leuten zu viel, sie zeigten sich reserviert vor allem gegenüber jenen Flüchtlingen, die in ihrem kriegsversehrten Land nicht länger leben wollten und ihr Heil und ein wenig Geld im Westen suchten.
„David, wo bist du?“ Peter blickte ihn an, streckte seine Hand aus und legte sie auf Davids Arm. „Sorry, mir ist nur gerade etwas durch den Kopf gegangen. Ist schon ok.“ David war sich bewusst, dass er Peter kaum überreden konnte, seine Vorgesetzten nochmals zu kontaktieren und sie zu einer Änderung ihrer Haltung zu bewegen. „Wir blasen es also ab. Aber ich hoffe, wir machen keinen Fehler!“ „David, bist du dir im Klaren, was du da sagst? Hier geht es nicht einfach darum, eine politische Entscheidung zu treffen. Was wir hier überlegen, endet in letzter Konsequenz mit Mord, und das …“ „Ja, Mord, aber es ist gerechtfertigter Mord, weil er in letzter Konsequenz den Tod vieler anderer Menschen verhindern könnte.“ David blickte an Peter vorbei, am Messingrohr entlang, das in seiner Vorstellung immer länger wurde, sich bei der Tür hinaus zog und in der Unendlichkeit landete. Er nahm Peters Worte kaum wahr, sie kamen auf ihn zu wie das weit entfernte Krähen einer Schar von Raben im dichten Nebel. „Du … musst … dir … das … nochmals … gut … überlegen!“ Zum Glück kam Jenny mit der Rechnung, David hatte einfach keine Lust mehr, über dieses Thema weiterzureden. Er war sich bis dahin so sicher gewesen, dass er längst den Beschluss gefasst hatte, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Doch das wollte er seinem besten Freund jetzt nicht mitteilen. Außerdem war er plötzlich nicht mehr davon überzeugt, dass er das tatsächlich durchziehen wollte.
J ASMIN K ÖPPERL WAR ZURÜCK in ihrer Wohnung. Die Bewachung, die Kriminalinspektor Franz Bugelnik angeordnet hatte, war von einem erfahrenen Beamten übernommen worden, der genau wusste, wann er sich in einen Hauseingang stellen musste, um von seinem Objekt nicht gesehen zu werden. Jetzt saß der Mann unten in seinem Wagen, in einer Stunde würde er von einem Kollegen abgelöst werden. Jasmin bereitete sich mit dem Einkauf, den sie auf dem Rückweg erledigt hatte, ein bescheidenes Abendessen. Nach den Aufregungen der vergangenen Tage verspürte sie immer noch keine Lust zu essen. So viel ging ihr durch den Kopf: Wer waren die Männer, die sie entführt hatten, was wollten sie von ihr und warum hatten sie sie so überraschend freigelassen – aber dann dachte sie wieder an Stefan. Ihr Schicksal konnte sie selbst meistern, aber wo war Stefan? Sie bekam zwar regelmäßig die Mails in ihr Postfach, doch außer den Romanfragmenten – oder was immer sich hinter den ominösen Zeilen verbarg – hatte sie kein Lebenszeichen von ihm. „Haider“ war zweifellos die Hauptperson in dem „Krimi“ – ja, es las sich tatsächlich wie ein Kriminalroman – aber worauf wollte er hinaus? Jasmin grub in ihrem Gedächtnis und erinnerte sich, dass ihr Stefan einmal von seinen Begegnungen mit Jörg Haider erzählt hatte. Es dürfte um das Jahr 1999 gewesen sein, dass er Haider zum ersten Mal getroffen hatte. Der war im Frühjahr neuerlich zum Kärntner Landeshauptmann gewählt worden, acht Jahre nach seinem Ausspruch von der „ordentlichen Beschäftigungspolitik im Dritten Reich“, der damals zu seiner Abwahl geführt hatte. Stefan war am Wörthersee unterwegs gewesen, hatte einige Lokale aufgesucht und war in einer Bar auf Haider gestoßen. Wie immer war der Landeshauptmann mit einer Entourage junger männlicher Begleiter unterwegs, aber das hinderte ihn nicht, Stefan anzusprechen und sich mit ihm an einen Tisch zu setzen. Sie konnte sich nicht mehr erinnern, was ihr Stefan – wenn überhaupt – über den Inhalt des Gesprächs erzählt hatte, doch meist ging es ohnehin ums Theater, um die Schriftstellerei, um Bücher. Denn eines wusste sie sicher: Stefan hatte bestimmt nicht über seinen Beruf gesprochen – oder jedenfalls nicht bei diesem ersten Treffen mit Haider. Sie hatten sich ausgezeichnet unterhalten, hatte ihr Stefan berichtet, das war beim Landeshauptmann auch keine Kunst, er verstand es wie kein anderer, seine Gesprächspartner für sich einzunehmen. Sie trafen sich immer wieder, doch meist eher zufällig, nur einmal, das war schon relativ knapp vor Haiders Tod, hatte dieser Stefan sogar zu sich ins Büro auf dem Arnulfplatz geholt. Stefan war nie sehr gesprächig, wenn Jasmin ihn fragte, worüber sie denn
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