York“ überschrieben war, und schon auf der dritten Seite stach ihr das Bild in die Augen: ein kleines Geschäftsportal, durch dessen großes Glasfenster rote Neonbuchstaben das Wort „Apfelstrudl“ bildeten. Auf einem anderen Foto sah man sie an einem runden, blauen Tisch sitzen: Sie erinnerte sich, dass sie ein Gast gefragt hatte, ob sie gerne eine gemeinsame Erinnerung an ihren Besuch hätten. Sie hatte auch die Kühlvitrine fotografiert: Diese war voll mit Torten und Mehlspeisen, einiges war direkt aus Österreich importiert: Kokoskuppeln lagen auf einem Teller, und sogar Almdudler konnte man dort kaufen. Und schließlich noch ein weiteres Bild: Da sah man das ganze Lokal und im Hintergrund ein großes Foto, auf dem Luciano Pavarotti zu sehen war, neben ihm – seine Körperfülle hatte kaum Platz für eine andere Person gelassen – eine zarte, junge Frau. Das war doch … natürlich, jetzt erkannte sie sie wieder, die Besitzerin des Restaurants, sie nannte sich, Jasmin dachte angestrengt nach, es war ein eher altmodischer Name, da fiel es ihr ein: Franziska. Aus der Steiermark. Sie hatte sich im Laufe des Abends zu ihnen an den Tisch gesetzt und natürlich hatten sie sie gleich gefragt, wie sie dazu kam, in New York ein Esslokal zu eröffnen, wo es doch wirklich keinen Mangel an Restaurants gab. An die genauen Details erinnerte sich Jasmin nicht, irgendetwas von einem elterlichen Gasthaus hatte sie erzählt, und dass sie sich einfach noch zu jung gefühlt hatte, den Rest ihres Lebens in der Provinz zu verbringen. Abenteuerlust, etwas ganz Verrücktes zu machen, das war es wohl.
Jasmin hielt inne: genau das, was sie sich immer vorgenommen, aber nie umgesetzt hatte. Nach dem Studium wollte sie auch ins Ausland, selbst wenn es nur eine Au-pair-Stelle gewesen wäre. Doch in jenem Sommer erkrankte ihre Mutter, musste sich im Krankenhaus einer Operation unterziehen, und da war ans Wegfahren nicht zu denken. Sie wurde als Praktikantin bei der „Kleinen Zeitung“ aufgenommen, der Rest war Geschichte. Natürlich konnte sie dann später – wenn auch nur in seltenen Fällen – auch dienstlich ins Ausland, doch meist nur, um einen österreichischen Politiker auf seiner Dienstreise zu begleiten. Einmal, so erinnerte sie sich, war sie mit dem Kärntner Landeshauptmann nach Ljubljana gereist, Haider hatte dort persönlich Unterlagen über Kindermorde im Erzherzogtum Krain im 17. Jahrhundert übergeben. Es war ihre erste große Geschichte, Haider war in Slowenien kein wirklich gern gesehener Gast, schließlich stand die Lösung der zweisprachigen Ortstafeln immer noch wie ein Relikt des Kalten Krieges zwischen den beiden Ländern.
Jasmin schlug das Album zu. Immer deutlicher wurde ihr bewusst, dass ihre Reise mit Stefan nicht nur die Erfüllung eines lang gehegten Traumes gewesen war, sondern von ihm offenbar bewusst so angelegt, dass er für seine Story, die nun stückweise bei ihr landete, authentische Informationen sammeln konnte.
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[email protected] Andrej und Slavko tranken auf der Terrasse des Café Roko in Osijek einen kleinen Schwarzen. Sie hatten schon bessere Zeiten erlebt, gemeinsam, aber auch getrennt. Ihr Geburtsort war Laslovo, nur wenige Kilometer entfernt, dort waren sie auch aufgewachsen, ihre Freundschaft reichte lange zurück. Die Häuser ihrer Eltern waren nur durch einen Zaun voneinander getrennt, für die beiden war der freilich kein Hindernis. Schon als Dreijährige hatten sie sich einen Durchgang verschafft, in der Volksschule saßen sie in derselben Bank, und auch die Oberschule besuchten sie gemeinsam. Dann kam der Krieg, beide hatten sich bei der Miliz als Freiwillige gemeldet. Sie konnten nicht ahnen, dass sie bald danach in die brutalsten Kämpfe verwickelt werden sollten: Die Serben schossen auf alles, was ihnen kroatisch erschien, und umgekehrt war es nicht viel anders: Frauen und Kinder waren die einzigen, die verschont blieben, doch sie mussten oft mit ansehen, wie die Männer des Dorfes verschleppt und später erschossen aufgefunden wurden. Als der Krieg endlich vorüber war, die beiden Freunde wie viele Gleichaltrige ohne wirkliche Ausbildung dastanden, halfen sie beim Wiederaufbau der schwer beschädigten Häuser und der Infrastruktur. Dann fand Andrej eine wenn auch nicht übermäßig gut bezahlte Arbeit in einer Baufirma, Slavko jobbte in einer Gärtnerei. Nach der Arbeit gönnten sie sich gelegentlich gemeinsam einen Kaffee, wenn es später