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Der Tod des Landeshauptmanns

Der Tod des Landeshauptmanns

Titel: Der Tod des Landeshauptmanns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eugen Freund
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Name stand und auf der Rückseite zwei Initialen: K und B oder, so dachte sie, es könnte auch R und B sein. Sie zog ihren Mantel aus, ging in die Küche, nahm die Schere aus der Lade und schnitt das Kuvert auf. Sie hatte schon lange keinen Brief mehr bekommen und wenn, dann war er meist am Computer entstanden, früher hätte man gesagt, mit der Schreibmaschine heruntergetippt. Doch dieser Brief war mit der Hand geschrieben: „Liebe Jasmin, entschuldigen Sie, dass ich Sie mit Ihrem Vornamen anspreche. Aber seit ich Sie vor zwei Wochen bei der Pressekonferenz der ‚Wörthersee Schifffahrt‘ gesehen habe, komme ich nicht mehr von Ihnen los. Erlauben Sie mir, dass ich mich vorstelle …“ Den Rest las Jasmin im Eiltempo: Da war von einem „lieblichen Gesichtsausdruck“ die Rede, von der „angenehmen Stimme“ und „blablabla …“ Jasmin hatte bald eine Ahnung, worauf der Mann hinauswollte, und gegen Ende schrieb er dann auch „… treffen möchte …“ Er deutete an, dass sie ihn vielleicht ohnehin gesehen hätte, er sei nämlich nicht geübt darin, andere Menschen zu verfolgen, schon gar nicht, wenn seine Liebe (hatte er tatsächlich „Liebe“ geschrieben?) so unbändig sei. Die Unterschrift war zwar kaum leserlich, aber daneben hatte er, sozusagen als Erkennungszeichen, einen Hut gezeichnet, in dem eine Fasanfeder zu stecken schien. „Oh Gott“, dachte Jasmin, „ein Stalker, das ist das letzte, was mir jetzt noch fehlt.“ Sie versuchte sich zurückzuerinnern, ob und wo sie diesen Mann einmal gesehen hatte. Ihr Gehirn arbeitete und arbeitete, hinter einem dicken Schleier erschien dann doch die Szene im Kaffeehaus – sie hatte damals ein wenig geistesabwesend aus dem großen Fenster geblickt und –, jetzt hatte sie es wieder deutlicher vor Augen, einen Mann mit Hut und Fasanfeder gesehen. Nur: an sein Gesicht konnte sie sich nicht erinnern, es war, als würde der Hut einfach über den Schultern dieses Unbekannten schweben. Jasmin dachte nach: Wie soll ich darauf reagieren? Sie hatte absolut keine Lust, sich mit diesem Mann zu treffen, im Moment schon gar nicht, und sollte mit Stefan wieder alles in Ordnung sein, dann, ja dann erst recht nicht. Aber sie hatte schon öfter Geschichten über Stalker gelesen, eine Kollegin hatte ihr einmal ihren ganz persönlichen Fall geschildert – der Mann hatte sie mit Briefen geradezu bombardiert und, schlimmer noch, irgendwie hatte er ihre Handy-Nummer in Erfahrung gebracht und sie dann auch noch am Telefon terrorisiert. Die Kollegin hatte die Polizei eingeschaltet und über eine Fangtaste war man dann auf den Mann gestoßen. Dass es ein Ex-Freund war, machte die Sache für sie auch nicht einfacher. Ohne Polizei werde ich das auch nicht schaffen, dachte Jasmin, obwohl: bis jetzt hatte er sich ohnehin noch ziemlich zivilisiert verhalten. Nein, doch keine Polizei, jedenfalls nicht in diesem Stadium.
    Sie setzte sich an ihren Schreibtisch und schaltete den Computer ein. Im Eingangsfach ihres Mail-Accounts lag wieder ein längerer Text von Stefan Stragger. Sie öffnete und überflog das Mail, dann druckte sie es aus. Wieder hatte Stefan eine Szene in New York beschrieben, die ihr sehr bekannt vorkam.
    Von: [email protected]
An: [email protected]
    David war sprachlos: Acht Millionen Menschen lebten in New York, und er traf ausgerechnet auf jenen Mann – noch dazu einen, der gar nicht in New York lebte –, mit dem er sich seit Jahren intensiv beschäftigte und dessen vorzeitiges Ende er genau an diesem Wochenende herbeiführen wollte. Haider war guter Stimmung, das konnte David auch aus der Entfernung wahrnehmen: Sein Lachen übertönte sowohl die Kaufhaus-Musik als auch den Geräuschteppich, der von den anderen Kunden erzeugt wurde. David überlegte, ob ihn der Kärntner Landeshauptmann von seinem Washington-Besuch her wiedererkennen würde. Die Chance war gering, wäre Haider nicht bekannt dafür, ein phänomenales Personengedächtnis zu haben. David ging kein Risiko ein, er hielt sich in Deckung: Weitere Krawattenständer, Tische, auf denen Hemden hoch aufgetürmt lagen und meterweise hängende Anzüge boten genügend Schutz. Er beobachtete, wie sich die Gruppe um die „Sale“-Schilder scharte und sich gegenseitig das eine oder andere Stück zum Goutieren hinhielt. David pirschte sich näher heran – er wollte zumindest Gesprächsfetzen auffangen, sein Deutsch war gerade gut genug, um die notwendigsten Zusammenhänge zu erfassen. Die Konversation kreiste

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