Der Tod des Maerchenprinzen
bei ihm nicht immer so einfach läuft. Daß auch er nicht immer nur da menschliche Beziehungen entwickelt, wo er jemand in der politischen Arbeit kennenlernt. Dem stimmt er auch zu. Aber trotzdem meint er, daß seine Theorie weitgehend richtig ist. Muß ich mich erst mal in meiner politischen Arbeit «bewähren», damit Arne ein rein menschliches Vertrauen zu mir gewinnt? Ich fange an, ziemlich wütend loszuholzen. Wo denn die Leute seien, zu denen er ein Vertrauensverhältnis hat. Ich würde keine kennen. Aus seiner BI höre ich auch immer nur, daß die Leute an ihm kritisieren, daß er sich nicht öffnet.
Nee, in Hamburg hätte er auch nicht solche Beziehungen. Aber in Dortmund. Ich glaub ihm kein Wort. Mit Dortmund kann er natürlich ankommen. Das kann ich nicht nachprüfen. Aber von Sabine hat er mir auch mal erzählt, daß er eine viel größere Vertrautheit zu ihr empfindet als zu mir. Und als ich dann mal bei Sabine selber nachgefragt habe, da hörte sich das auch etwas anders an. «Die in Dortmund wundern sich, daß da nach so langer Zeit immer wieder derselbe ankommt. Nicht kleinzukriegen!» klingt mir Arnes Satz von neulich im Ohr. Also kennen die Leute in Dortmund ihn auch in erster Linie als den ungebrochenen Politmacker. Immer wieder derselbe. Keinen persönlichen Schwankungen unterlegen. Und das sollen die Leute sein, denen er sich öffnet! Na ja.
Aber an Arne ist nicht ranzukommen in dem Punkt. Er hat sein abgeschlossenes Weltbild über sich selber. Und die Grundfeste hat er in Dortmund gelegt, wo keiner aus unserer Runde was zu sagen kann. Jan kommt irgendwie darauf zu sprechen, daß er Uschi auch in erster Linie als Mensch kennengelernt hat und nicht geguckt hat: Jetzt muß ich mir erst mal ihre politische Arbeit angucken, bevor ich Vertrauen zu ihr entwickeln kann. Uschi und ich lachen. Und daß Uschi für ihn die wichtigste Vertrauensperson geworden ist, ohne daß er sie nach ihrer politischen Arbeit «beurteilt» hat.
«Das wäre bei mir auch so. In so einer Beziehung», ist Arne ganz schnell dabei. Wenn er eine Beziehung zu einer Frau hätte... daß wäre für ihn auch so. Da würde er sich öffnen...
«Das ist ja gelogen», fahre ich ihm dazwischen. «Bei Sabine hast du das ja auch nicht gemacht. Und da hast du ja nun lange genug Zeit gehabt. Das ist ja einfach gelogen.» Ich bin wütend. Er soll seine Widersprüche endlich mal einsehen. Wieso bleiben Uschi und Jan denn so ruhig? Und halten mich sogar noch zurück, wenn ich auf ihn losgehen will! Ich bin wütend. Sauwütend. Der Kerl widerspricht sich am laufenden Band, und man kann ihn noch nicht mal auf seine Widersprüche festnageln. Weil er dann immer nur noch dasitzt und sich das «erst mal anhört».
Auf meine Frage: «Was hast du eigentlich gedacht, als ich dich angespuckt habe?» kommt: «Nichts. Nichts hab ich mir dabei gedacht. Was soll ich mir dabei gedacht haben?» Und auf das vollgesprühte Fenster hin hat er sich auch nichts gedacht. «So was laß ich auflaufen. Einfach auflaufen.» Es ist ja auch das Normalste von der Welt, wenn einen eine Frau anspuckt und «Frauenfeind» aufs Fenster sprüht. Was soll mann sich da schon denken?
Und dann sagt Arne plötzlich, daß es ihm jetzt genug sei. Daß er die Diskussion abbrechen möchte. Sonst werde es ihm zuviel auf einmal. Das könne er dann nicht verarbeiten. Wir machen also Schluß. Was sollen wir auch anderes machen? Gehen zum gemütlichen Teil des Abends über. Holen Wein und Gläser. Jan hat Whisky. Das ist natürlich was für Arne. Reden über Horst Mahler. Ich sage, daß es irgendwie nicht in meinen Kopf rein will, wie Leute, die mal ernsthaft auf unserer Seite gestanden haben, so umkippen können. Ich verstehe es wirklich nicht. Arne sagt, daß er von sich auch nicht sicher sagen kann, daß er nicht umkippen würde. Daß keiner von uns gegen eine Gehirnwäsche ganz sicher gefeit ist.
Er hat recht. Ich war noch nie im Knast. Habe nicht in Isolationshaft gesessen. Ich habe gut reden. Aber daß ausgerechnet Arne sagt, er könne keine Garantie dafür geben, sich nicht umdrehen zu lassen... damit habe ich nicht gerechnet. Wenn selbst der starke, selbstsichere Politmacker Arne so was sagt... wahrscheinlich habe ich wirklich keinen Begriff davon, was Isolationsfolter heißt. Ich kann mir zwar anhören, was die Gefangenen selber darüber sagen. Es kommt auch wirklich irgendwo in meinem Kopf an. Aber — kann mann/frau sich das vorstellen, was das wirklich heißt, wenn sie’s
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