Der Tod des Maerchenprinzen
akzeptieren. Dann kann er nicht sagen: «Ich habe mich aber dafür entschieden, nur noch über die Verarbeitung zu sprechen, nicht über die Sache selber.» Und außerdem hätte er dann auch mal das sagen müssen, was er im Kopf hatte. Und nicht: «Das interessiert mich jetzt eigentlich weniger.» Und er hat ja auch nicht nachgefragt, was diese Erfahrung denn heute für mich bedeutet. Auch wenn er das gestern steif und fest behauptet hat. Obwohl ich ihm gesagt habe: «Das stimmt nicht. Wir haben da nie drüber geredet.» Er ist dann «ärgerlich» geworden und meint immer noch, wir hätten darüber geredet. — Ich bin auch doof. Ich hätte ihn doch einfach fragen können: Ja? Und was haben wir da diskutiert? Was ist aus der Diskussion rausgekommen? Was weißt du darüber, wie ich es verarbeitet habe? Dann wäre er nämlich fein still gewesen und hätte selber gemerkt, daß er darüber nichts weiß, weil wir uns darüber nicht unterhalten haben. Aber dazu war frau mal wieder zu blöd, um im richtigen Moment auf diese Frage zu kommen.
Arne hört sich das alles an, was wir ihm sagen. Ab und zu fallen seine beiden Standardsätze: «Das seh ich anders.» Manchmal in der Variation: «Das seh ich etwas anders» und «ich hör mir das erst mal an». Arne hört sich immer erst mal an. Und überdenkt dann. Bei jeder Diskussion. Ich erinnere mich an keine Diskussion über persönliche, ihn betreffende Themen, wo Arne nicht die Rolle des «ich hör mir das erst mal an» eingenommen hätte. Nur in politischen Diskussionen. Da hört Arne nicht erst mal an. Da legt er los und hört sich leider viel zuwenig an. — Aber heute hört Arne sich erst mal an. Ab und zu bringt er dann auch ein paar längere Monologe. Wie er das sieht. Er sieht das etwas anders.
Er fängt nicht immer sofort an, von sich zu «quatschen». Dazu braucht er auch Vertrauen. Er guckt sich erst mal an, was jemand so macht. Und vor allem, was jemand politisch so macht. Das ist für ihn sehr wichtig, sehr wichtig. Wenn er so sieht, was jemand politisch so macht, dann kann er auch so schrittweise... so nach und nach... dann fängt er an, sich zu öffnen. Aber das Politische, das ist sehr wichtig für ihn. Sehr wichtig. Und so schrittweise, von beiden Seiten... Vertrauen entwickeln, sich lange kennen. Aber nicht gleich sofort anfangen, über so persönliche Sachen zu «quatschen». Dazu braucht er Vertrauen. Und muß jemanden in der politischen Arbeit kennenlernen. Er guckt sich erst mal an, was jemand so macht.
Irgendwie ist das Gespräch dann kurz unterbrochen. Ich versuche, den roten Faden wiederaufzunehmen. «Was hatten wir eben grad am Wickel?»
«Arne hat uns gerade seine Theorie ausgebreitet, Vertrauen zu entwickeln durch schrittweises Nicht-Öffnen», meint Jan.
Alle müssen lachen. Auch Arne. Der so selten richtig lacht. So selten, daß ich die wenigen Male, wo ich ihn richtig habe lachen sehen, in ganz deutlicher Erinnerung behalten habe. Arne lacht so, daß man seine Zahnlücke sieht, die eigentlich ganz schön weit hinten ist. So daß man sie immer nur sieht, wenn er mal ganz doll lacht. So wie jetzt. Ich freue mich immer, wenn ich Arne so lachen sehe. Aber diesmal freue ich mich nicht nur darüber, daß er lacht. Sondern auch darüber, daß er mit uns lachen kann.
«Arne hat uns gerade seine Theorie ausgebreitet, Vertrauen zu entwickeln durch schrittweises Nicht-Öffnen.» Eine Bemerkung, die Arnes ganze breit ausgewalzte Darlegung so treffend ad absurdum führt. So treffend, daß selbst Arne darüber lachen muß. Wir sagen ihm noch, daß wir das etwas anders sehen. Vor allem, daß ich mich ihm ja geöffnet habe. Daß ich ja Vertrauen zu ihm hatte. Daß es ja gar nicht darum ging, daß er was von sich erzählen sollte in dem Moment. Arne hört sich das erst mal an. Und dann reitet er wieder darauf herum, daß er gegen so ’n Aufrechnen ist. Daß ihn an mir stört, daß ich auch was von der Gegenseite «verlange», wenn ich mich öffne. Daß ich ihm schon ein paarmal gesagt habe, daß ich mich nicht mehr öffnen kann, wenn ich ein paarmal was von mir rauslasse und nie was zurückkommt. Das findet er nicht gut.
Mit anderen Worten: Arne verlangt einen Vertrauensvorschuß. Den hab ich ihm nun aber reichlich gegeben. Wenn ich bedenke, was ich ihm alles von mir offenbart habe und wie wenig er mich an sich rangelassen hat! Und dann geht wieder die Platte mit dem politischen Vertrauen los. Wir schaffen es sogar, ihn davon zu überzeugen, daß das auch
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