Der Tod des Maerchenprinzen
gar nicht, was ich diskutieren soll. In meinem Kopf ist alles durcheinander und verschwommen. Ich kriege keine klaren Gedanken zusammen. Irgendwie sage ich dann, ich würde Arne zurückweisen, wenn er was von mir wollte. Uschi sagt, sie sieht nicht, daß er meinetwegen kommt. Er kommt nur seinetwegen. Jan meint auch: «Er will kein Schwein sein. Das hat ihn getroffen. Er ist hergekommen für sich selber. Und das Wichtigste ist für ihn schon gelaufen. Er ist nicht abgewiesen worden. — Er will nicht, daß wir denken, er sei ein Schwein.» Und dann meint Uschi noch, daß sie gehofft hätte, daß ich weiter sein würde. Aber ich bin’s nun mal nicht. Ich habe schon wieder die Illusion im Kopf, daß der Scheißkerl doch was von mir will. (Du hast ihn geknackt.) Wenn auch nur, damit ich ihn diesmal abweisen könnte. Um ihm endlich mal zu zeigen, wie das ist.
Aber ist ja egal. — Tatsache ist, daß ich mir wieder Hoffnungen gemacht habe, daß Arne nun endlich doch was von mir will. Und es ist nicht das erste Mal so, daß ich denke: So! Jetzt bin ich mit dem Scheißkerl endgültig fertig. Siehe Umzug: Da hab ich auch fast eine Woche lang gedacht, jetzt sei ich drüber weg. Jetzt könne er mir gestohlen bleiben, weil er mich zum drittenmal hat sitzenlassen. — Und dann meldet dieser Scheißkerl sich immer so lange nicht, bis das Bedürfnis, ihn zu sehen, meine Wut auf ihn doch wieder besiegt hat. — Daß ich doch wieder umgekippt bin, wenn das Telefon endlich klingelt. Und nun muß ich vor Uschi und Jan und mir selber zugeben, daß er es auch diesmal wieder geschafft hat.
Und es ist so wahnsinnig anstrengend, darüber überhaupt nachzudenken. Ich will ins Bett. Es ist auch schon halb neun. Ich will mich endlich hinlegen. Ich habe keine Kraft, mir noch irgendwelche vorbereitenden Gedanken für dieses Gespräch zu machen. Kann bestimmt nicht die einleitenden Worte übernehmen. Ich will nichts sagen, woraus Arne entnehmen könnte, daß ich doch noch Sympathien für ihn hege. Ich will den Eindruck aufrechterhalten, daß ich ihn für ein Schwein halte. Für ein absolutes Schwein. Ich will ihm keinen kleinen Finger reichen heute abend . Deshalb will ich das Gespräch auch nicht anfangen. Bitte Jan und Uschi, das für mich zu tun. Die wollen es auch nicht. Sagen, daß ich schon mit ihm reden muß. Daß ich irgendwie aktiv in die Diskussion reingehen muß. Daß sie mich nur unterstützen können.
Plötzlich klingelt es. Arne steht vor der Tür. Es ist neun Uhr. Nichts mehr mit hinlegen. Nicht einmal eine halbe Stunde Zeit, um noch einmal Abstand zu gewinnen. Noch einmal aufzuatmen.
Wie das Gespräch nun wirklich angefangen hat, kann ich nicht mehr sagen. Als ich ihn frage, was er denn nun meint, meint er erst mal gar nichts. «Ich hab dir doch ’n Brief geschreiben.»
Ja, aber da könne er nicht viel mit anfangen. Ich soll ihm das noch mal erklären. Ich fand meinen Brief eigentlich sehr klar. Sehr schlüssig. Ich weiß nicht, weshalb er da nichts mit anfangen kann. Wir fangen also noch mal bei dem Beispiel mit der Vergewaltigung an. Arne sagt, daß er es damals so gemeint hätte, daß ich es nicht zu erzählen brauche, wenn es mir schwerfällt. Und daß er mit einer Frau, natürlich der Anke, darüber geredet hat und die ihm auch gesagt hätte, es sei klar, daß es bei mir so angekommen ist, wie es angekommen ist. Und auf Jans Nachfragen hin kommt dann auch, daß er eben selber Schwierigkeiten hat, sich so was anzuhören, wenn ’ne Frau ihm erzählt, wie sie vergewaltigt worden ist. Und dann bringt er seine Heimerziehung ins Spiel. Daß er praktisch achtzehn Jahre lang vergewaltigt worden ist, und...
Den Rest kriege ich nicht so recht mit. Ich hake nach. «Wolltest du damit sagen, daß du auch achtzehn Jahre lang vergewaltigt worden bist und das ist genauso schlimm. Oder wie?»
Nee. Da hab ich ihn Gott sei Dank falsch verstanden. So hat er es nun doch nicht gemeint. Er meinte, daß es für ihn darauf ankommt, wie jemand diese Erfahrungen verarbeitet hat, da heute mit umgeht. Er findet es unwichtig, in den konkreten Ereignissen der Vergangenheit rumzustochern. Deshalb erzählt er seine Sachen auch nicht.
Okay. Die Entscheidung kann er ja für sich getroffen haben. Deshalb kann er nicht von anderen verlangen, da genauso ranzugehen. Und wenn er merkt, daß ich sehr wohl das Bedürfnis habe, mit ihm über meine ganz konkreten Erfahrungen zu sprechen, ihm zu erzählen, wie ich vergewaltigt worden bin, dann muß er das
Weitere Kostenlose Bücher