Der Tod des Maerchenprinzen
habe.
Ich drehe mich zur Seite. Da steht er. Breitbeinig und mit in die Hüfte gestemmten Armen. Aufgeplustert und furchterregend. Noch bevor er den ersten Kampfschrei ausstoßen kann, fahre ich ihn an: «Wenn du mir an ’n Rock grabbelst, dann scheuer ich dir eine. Das ’s ja wohl klar.» Er vibriert. Ich bleibe ruhig sitzen.
Sein Freund redet auf ihn ein. «Komm jetzt. Laß doch.»
Aber er kommt nicht. Läßt nicht. Versucht, so bedrohlich wie möglich vor mir rumzuhampeln. Körperlich wäre er mir überlegen. Aber die Wut und Kraft, die aus meinen Augen blitzt, sind stärker als sein Bizeps. Ich bleibe ruhig sitzen. Weiche nicht zurück. Stehe nicht auf.
Als er mit dem Arm zuckt und vorgibt, zum Schlag auszuholen, ziehe ich zwar schnell meinen Ellbogen vor den Kopf. Aber im selben Moment kriegt er es zum zweiten- oder drittenmal zu hören: «Wenn du mich angrabbelst, kriegst du eine gescheuert.»
Seine Drohgebärden werden stärker. Aber mit ihnen wächst die Entschlossenheit in meinem Gesicht. Ich bin stark. Unendlich stark und spüre seine Angst. Seine Angst vor einer Frau, die sich nicht einschüchtern läßt. Die da sitzt und ihn vor sich rumhampeln läßt. Eine Frau, die bestimmt weniger Bizeps hat als er und mit blitzenden Augen und sicherem Gesichtsausdruck sagt: «Wenn du mich anfaßt, scheuer ich dir eine.»
Verkehrte Welt. Frauen haben sich doch genervt und ängstlich an die Seite zu drücken, wenn sie Anmachen entgehen wollen. Es ist doch männliches Vorrecht, Frauen nicht ernst zu nehmen und sie zu dem zu benutzen, worauf mann grade Bock hat. Wieso schlägt denn die zurück?
Sein Freund redet beschwichtigend auf ihn ein. «Nun komm doch. Es ist doch ’n Mädchen.»
Aha. So kann mann aus einer Niederlage auch einen Triumph machen. Es war ja «nur» ein Mädchen. Wenn ich sie nicht für voll nehme, dann kann ich so tun, als wenn es mich gar nicht demütigt, von ihr geschlagen worden zu sein. Aber mir ist es egal. Wenn ihm sein Abgang so leichterfällt. Bitte.
«Hör man auf deinen Freund», sage ich noch.
Ein letztes Aufplustern. Dann eine gnädige Handbewegung. «Na, weil heute Sonnabend ist», meint er großzügig, als er endlich geht.
«Der hat mir an ’n Rock gegrabbelt, da hab ich ihm eine gescheuert», sage ich zu der älteren Frau mir gegenüber laut. So laut, daß alle es hören. All dieses ignorante Pack, daß da die ganze Zeit rumgesessen und zugehört und zugeguckt hat. In der Bahn müßte eine Frau erst zusammengeschlagen und vergewaltigt werden, bevor mal jemand sagt: Ach, entschuldigen sie bitte, aber ich finde es nicht ganz richtig, was sie da machen.
Die Frau meint nickend zu mir: «Das war auch richtig so. Die waren wohl betrunken.»
«Das machen die auch, wenn sie nüchtern sind», sage ich laut. Und gucke aus dem Fenster. Kein Wort mehr. Ich habe jetzt nicht noch die Kraft, auch noch zu reden. Bin stolz auf mich. Aber auch geschafft. Hoffentlich müssen die nicht auch Dammtor raus. Aber selbst wenn. Ab jetzt bin ich stark. Endlich zurückgeschlagen haben. Nach zehn Jahren Angegrabbel und Angetatsche. Er hat es nicht geschafft, mich einzuschüchtern. Ich bin stark. Ich bin stark. Ich bin stark. Und ich werde immer stärker. Ab heute werde ich jeden Tag stärker.
Die Lichter leuchten über der Alster, und die Ruhe kehrt wieder ein in meinem Magen. Die Wut im Bauch, die endlich zur geballten Faust geworden ist.
Auch wenn ich mich am Anfang etwas geärgert hab, daß er so ungünstig saß, daß ich ihm nur mit links über ’n Dassel hauen konnte. Ihm nicht kraftvoll mit der rechten Hand ’ne Ohrfeige verpassen konnte. Aber dann hab ich geschnallt, daß es darauf nicht ankam. Eine Frau, die allein in der Bahn auftaucht, hat gewagt, einen fremden Mann zu schlagen, der obendrein auch noch mit seinem Freund dasaß. Darauf kam es an.
Etwas ungewöhnlich, junger Mann, was? Eine kurzhaarige, sommersprossige Frau im langen Rock mit Bergstiefeln, die einfach zuschlägt. Etwas ungewöhnlich. Sicher. Aber so bin ich nun mal. Und ich hoffe, daß ich nicht die letzte Frau sein werde, von der du eine gescheuert kriegst. Etwas ungewöhnlich schon. Aber ich hoffe, du lernst noch mehr so ungewöhnliche Frauen kennen.
Auf dem Bahnsteig wieder das gewöhnliche «hallo, Süße», als ich es wage, in einem Meter Abstand als alleinstehende junge Frau an einem Typen vorbeizugehen. Und wieder mein gewöhnliches Nicht-Hinhören und schnell vorbei. (Anschreien, los, anschreien, «Halt das
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