Der Tod des Maerchenprinzen
einfach nur noch tschüs zu ihm sage. Der unaufmerksame Beobachter könnte meinen, er wolle mich gar nicht umarmen. Aber ich kenne ihn zu gut. Sehe die maßlose Unsicherheit, die hinter dieser Fassade lebt und fühlt. Spüre, daß er sich einfach nicht mehr traut, mich zu berühren. Daß er Angst hat, zurückgestoßen zu werden. Er, der harte Mann. Der selbstsichere Arne, hinter dem sich ein anderer Arne versteckt. Ein empfindlicher und verletzlicher Mensch. Verwundbar und schutzlos, wenn die Fassade nicht wäre. Deshalb hält er sie so hartnäckig aufrecht.
Als ich aufstehe, um zu gehen, merke ich, daß sein Blick meinen langen Rock registriert. Ich würde jetzt zu gerne wissen, was er denkt. Wie er mich empfindet. Wie diese Frau ihn verunsichert, die da im langen, weiten Rock auftaucht. Weiblich, feminin. Und sagt: «’n Abend, Alter. Da bin ich. Wollt mal wieder mit dir schnacken.»
Ich will ihm doch gar nichts tun. Ich bin doch nun mal nur ’ne Frau, die gerne lange, weite Röcke trägt und ab und zu plötzlich bei ihm in der Tür steht und sagt: «Da bin ich. Ich will was von dir.»
Warum verunsichert das den armen Kerl denn so? Ich will ihm doch gar nichts tun!
Als ich später bei Sabine bin und wir uns gegenseitig Sachen vorlesen, die wir über Arne geschrieben haben, sagt sie einmal mitten im Gespräch: «Irgendwann konnte ich ihn nicht mehr ernst nehmen.» Als ich abends im Bett liege, fängt dieser Satz an, in meinem Kopf zu rotieren. Ich konnte ihn auch nicht mehr ernst nehmen. Ich habe ihm das auch geschrieben. Aber ich konnte es ihm nicht erklären. Und ich bin selber nicht mit diesem Widersspruch klargekommen, daß ich ihn nicht mehr ernst nehme, aber mit ihm schlafen will. Hab mir Vorwürfe gemacht: Will ich ihn als Sexualobjekt?
Spinnkram! Aber ich hab dieses schlechte Gewissen gehabt, weil ich ja gesagt habe: Es hat keinen Sinn, sich mit ihm auseinanderzusetzen. Aber schlafen kann ich mit ihm. Das ist sehr schön mit ihm.
Ich habe aber immer gedacht, ich sei gar nicht mehr in ihn verliebt, sondern in das Bild, was ich von ihm im Kopf habe. Aber plötzlich fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Es gibt ja zwei Arnes. Was ich nicht mehr ernst nehme, ist seine Fassade. Den harten Marlboro-Typen. Den in jeder Lebenslage selbstbewußten, harten, unsensiblen Arne. Den nehme ich nicht mehr ernst. Diese Fassade finde ich lächerlich. Aber den Menschen dahinter, den anderen Arne, den nehme ich verdammt ernst. Den unsicheren, empfindlichen, lebensunfähigen Arne. Den nehme ich ernst. Den mag ich wahnsinnig gerne. Mit dem will ich es zu tun haben. Mit dem wollte ich schlafen.
Als ich bei ihm ankomme, steht er in der Haustür, weil er sich gerade Zigaretten holen will. Tritt mir auf den Fuß, ist ganz schnell einen Schritt weiter. Früher hätte er mir in so einer Situation zur Entschuldigung flüchtig den Arm gestreichelt. Früher. Aber er traut sich nicht mehr. Er ist so unsicher. Weiß überhaupt nicht mehr, wie er sich mir gegenüber verhalten soll.
Er lädt mich zum Essen ein. Als wir uns beim Griechen an einen Tisch setzen, sucht Arne sich den Platz mitten auf der langen Bank aus. Entweder kann ich mich neben ihn setzen, dann kann ich ihn aber nicht angucken beim Reden. Oder ich kann mich auf die Bank über Eck setzen. Dann sitz ich aber einen Meter von ihm weg. Ich entscheide mich für das zweite. Arne könnte jetzt mit einer kurzen Bewegung einen halben Meter zu mir ranrücken, damit wir uns besser unterhalten können. Arne bleibt sitzen. Bleibt stur einen Meter von mir weg sitzen, obwohl ich bei jedem dritten Satz nachfragen muß, weil die Musik so laut ist. Warum hat er denn bloß solche Angst vor mir? Ich will ihm doch gar nichts tun.
Ich warte mit dem entscheidenden Thema, bis wir beim Essen sind. Als ich gerade ansetzen will, kommt er mir zuvor: «Warum bist du eigentlich noch mal gekommen?»
«Ja, da wollt ich auch grade mit anfangen. Ich wollt dich fragen: Hat sich eigentlich in deinem Kopf was getan nach unserer letzten Auseinandersetzung.»
«Nö... nichts Wesentliches. Außer daß ich Frauen gegenüber unsicherer geworden bin.»
Damit hab ich nicht gerechnet. Daß er unsicherer geworden ist schon. Aber daß er das so zugibt. Einfach so. Arne. Der Mann ohne Schwächen. Ein zaghafter Einbruch in die Fassade. Arne gibt, ohne unter Druck gesetzt zu werden, eine Schwäche zu. Und den Rest glaub ich ihm sowieso nicht. Daß sich in seinem Kopf nichts getan hätte. Und was er dann
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