Der Tod des Maerchenprinzen
ihn mal zu fragen: Was hast du denn jetzt, vier Wochen nach unserer letzten Auseinandersetzung, aus unserer Beziehung gelernt?
Aber dann hab ich wieder Schiß gekriegt, daß er was sagt, was mich wieder so beschäftigt, daß ich mich wieder stärker auf die aktuelle Auseinandersetzung mit ihm konzentriere als darauf, die bisher gelaufenen Sachen endlich vollständig zu Papier zu bringen.
Aber dann hab ich wieder gemerkt, daß es sowieso in mir arbeitet, wie ich das Buch weiterschreibe. Daß sich meine Konzeption während des Schreibens ändert. Daß ich das Buch jetzt viel stärker für mich schreibe als vor eineinhalb Monaten noch. Daß das Auge, was ich beim Schreiben auf Arne werfe, immer kleiner wird. Also bin ich weitgehend drüber weg und kann mir auch die Sperrfrist verkürzen. Kann mir erlauben, ihn jetzt zu besuchen. Und außerdem kann mir eine sofortige Auseinandersetzung auch helfen, wirklich vollständiger zu verarbeiten. Vielleicht kommt bei einem Treffen was raus, was die Sache unter einen neuen Blickwinkel stellt, so daß ich das Schreiben auch unter einem übergeordneteren Aspekt fortsetzen kann. Also gehe ich hin heute abend . Wenn ich mit Sabine verabredet bin, gucke ich kurz bei ihm rein und frage, wann er mal für ’n Klönschnack Zeit hat.
Irgendwie ärgert es mich schon, daß ihm das wieder zeigt, daß ich immer noch Interesse an ihm habe. Ich wollte ihm doch eigentlich zeigen, daß er so ’n Schwein ist, daß ich nichts mehr mit ihm zu tun haben will. Aber wieso soll ich ihm was zeigen, was gar nicht wahr ist? Er ist zwar ’n Schwein. Aber ich will trotzdem noch was mit ihm zu tun haben. Dumme Sau!
Wieso läßt der mich nicht los? Es ist doch jetzt schon fünf Monate her. Und hat nur ein paar Wochen gedauert. Wieso läßt mich die Erinnerung an ihn nicht los? Aber ich bin ja schon so weit drüber weg, daß ich heute abend zu ihm hingehen kann. Wegen eines Gesprächs. Nicht weil ich Zärtlichkeiten von ihm erwarte. Ich will ihn nur was fragen, weil ich mit meinem Buch nicht weiterkomme.
Ich bin drüber weg? ... Ich? ... Drüber weg? ... Ich? ... Die heute vormittag an der Bushaltestelle... heute vormittag ... wieder in Gedanken versunken dastand... seine Hände gespürt habe... seine Hände unter meinem Rock... seine Haare gestreichelt habe, wie er seinen Kopf in meinen Schoß schmiegte... Wie alles, was er berührte, unter seiner Zärtlichkeit wegschmolz... heiß und fließend zu einem einzigen Verlangen zusammenschmolz... mit ihm zu schlafen... Ich bin drüber weg? ... Ich? Die sich dann zu Hause erst mal ins Bett gelegt hat... mit dem Gedanken an ihn... Meine eigenen Hände mir seine Zärtlichkeiten ersetzen mußten... ich seine Wärme und seine sanften Bewegungen wirklich körperlich gespürt habe... wirklich mit ihm geschlafen habe, als ich mich selbst befriedigte... weinen mußte nach meinem Orgasmus, weil es so schön war mit ihm... weil ich danach noch seine Zärtlichkeit gespürt habe... ganz sanft und ganz warm... weinen mußte...
Arne hat wieder mal einen Zentimeter lange Bartstoppeln im Gesicht, als er mir die Tür aufmacht. Er umarmt mich nicht. Ich ihn auch nicht. Heute noch nicht. Er fragt nicht, was ich will, warum ich gekommen bin. Als er sich im Schlafzimmer auf seinen Schreibtischstuhl setzt, sage ich noch einmal ganz freundlich: «Guten Abend.» Er harrt der Dinge, die da kommen mögen.
«Ich wollt mal wieder mit dir schnacken.»
«Ja, setz dich», meint er.
«Nee, nicht heute abend , ich hab keine Zeit... na ja, aber hinsetzen kann ich mich schon ’n Augenblick.»
«Morgen hätt ich Zeit», meint er, «sonst ist es schlecht.»
Erst schlägt er den Nachmittag vor. Paßt mir gar nicht, aber ich willige ein. Warum will er am Nachmittag? Damit er dann irgendwann sagen kann: Jetzt hab ich keine Zeit mehr, jetzt muß ich noch was tun. Ich fänd’s besser, mich ohne zeitliche Begrenzung mit ihm treffen zu können. Also abends. Aber dann schwenkt er von selber um, meint, ich solle lieber erst sechs, halb sieben kommen . Dann könnte er vorher noch was fotokopieren. Ach nee, ich soll man lieber erst so gegen halb sieben da sein. Okay. Ich stehe auf. Verabschiede mich. Tschüs. Bis morgen. Lächeln. Mehr nicht. Wie er da sitzt auf seinem Stuhl. Hinter der Stuhllehne verbarrikadiert. Damit ich nicht auf die Idee kommen könnte, er würde mich gerne streicheln oder umarmen und traut sich nur nicht. Nein. Es sieht so aus, als findet er es auch ganz normal, daß ich
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