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Der Tod des Maerchenprinzen

Der Tod des Maerchenprinzen

Titel: Der Tod des Maerchenprinzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Svende Merian
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auseinandersetzen kannst. Aber wenn du nur ’n Mann haben willst: Den kriegst du sofort.»
    Sie hat recht. Ich sehe natürlich immer nur die traute Zweisamkeit. Wenn ich in der U-Bahn so einem händchenhaltenden Liebesglück gegenübersitze, verdränge ich, daß die sich vielleicht abends vorm Fernseher oder in der Disco anschweigen. Früher hatte ich auch andere Ansprüche an eine Beziehung. Konnte meine Zeit mit Männern verbringen, mit denen ich mich nicht offen unterhalten konnte. Zum Ausquatschen war die Freundin da. Früher war die Tatsache, einen Mann zu haben, wichtiger als meine eigenen Interessen. Hatte ich kaum einen anderen Lebensinhalt. Heute geht das nicht mehr. Zu viele Sachen haben eine so wichtige Bedeutung in meinem Leben eingenommen, als daß mich Männer noch interessieren würden, mit denen ich mich darüber nicht auseinandersetzen kann. Und dann passiert es eben so selten, daß frau jemannden kennenlernt, mit dem sie so viele Gemeinsamkeiten hat, daß sie sich in ihn verlieben kann. Da gehört ja schließlich so was wie «die gleiche Wellenlänge» dazu.
    Mit sechzehn, siebzehn war es so einfach, alle drei Wochen einen neuen zu finden. Sich dauernd wieder zu verknallen. Da wußte ich noch nicht so genau, was ich wollte. Heute weiß ich das. Heute interessieren mich nur noch Männer, mit denen ich das, was ich will, zusammen verwirklichen kann. Ich will keinen Ehemann. Ich will mein Leben leben. Ich kann nur einen Mann gebrauchen, der meinen Lebensstil teilt. Wenn es den nicht gibt, lebe ich lieber allein.
    Aber es gibt doch Leute, die haben solche Beziehungen, wie ich sie mir wünsche. Es gibt also Männer, die meinen Vorstellungen entsprechen. Andere Frauen aus meinem Freundeskreis haben doch auch einen abgekriegt. Ich will ’n Mann. Einen, mit dem ich über alles reden kann. Einen, der sich für die gleichen Sachen interessiert wie ich. Einen, mit dem ich meinen Alltag teilen kann, ohne daß er mich einschränkt.
    Was soll das? Warum mache ich mir so viele Gedanken über ungelegte Eier? Es steht absolut kein Mann zur Diskussion. Ich kenne keinen, der diese Kriterien erfüllt. Ich kann mich nicht verlieben. Es liegt überhaupt nicht an, mir darüber stundenlang Gedanken zu machen. Ich muß von dieser Männerfixiertheit runter. Anstatt mir über nicht vorhandene Männer Gedanken zu machen, sollte ich lieber mal andere Beziehungen nicht so schluren lassen. Ich isoliere mich immer mehr. Mein Freundeskreis? Ich habe keinen mehr. Eine Handvoll Leute noch. Alle anderen habe ich vernachlässigt. Seit zwei Jahren ungefähr. Gar nicht mal wegen einer Beziehung, sondern schon vorher. Warum, kann ich eigentlich gar nicht sagen. Es war plötzlich so. Ich bin allein. Fühle mich wahnsinnig einsam.
    Und plötzlich liege ich nachts im Bett und fange an zu weinen. Ich, die seit Jahren nicht mehr weinen kann. Nur ganz selten. Mir meistens keine Trauer erlaube. Zu oft die Tränen bewußt heruntergeschluckt habe. Heute brauche ich sie nicht mehr runterzuschlucken. Heute funktioniert meine Verdrängung von alleine. Wenn es mir dreckig geht, presche ich die Problemlösung mit Siebenmeilenstiefeln an. Was hilft mir Selbstmitleid?

    dickicht ringsum
    zweige
    peitschen ins gesicht, treffen
    auf offene wunden.

    der schmerz
    ist schon eins
    mit mir.

    ein lichtstrahl zwingt
    den blick nach oben, wo
    verschwommene klarheit
    in der weite lauert — vielleicht
    ist der himmel
    blau —

    Nachdem ich ein paarmal die Erfahrung gemacht hatte, daß es aus jeder verfahrenen Problemsituation einen Ausweg gibt, habe ich mich immer dazu angetrieben, ihn möglichst schnell zu finden. Auch wenn ich im Moment der Verzweiflung nur meinte, daß der Himmel «vielleicht» blau ist...
    Im Grunde war ich mir immer sicher, daß ich eines Tages wieder blauen Himmel zu sehen kriege. Wozu dann den Schmerz länger als nötig ertragen? Auch wenn ich die Klarheit nur verschwommen erahnt habe... im Grunde war ich zuversichtlich, daß mir nach der Lösung des jeweiligen Konflikts wieder etwas klarer sein wird.
    Und aus dieser Zuversicht heraus habe ich mich immer zu stark unter Druck gesetzt, den Schmerz schnell zu überwinden. Ich muß wieder lernen, auch Traurigkeit auszuleben.
    Aber das weiß ich schon seit Jahren. Seit vier Jahren weiß ich, daß ich meine Tränen eigentlich nur unterdrücke. Daß sie nicht weg sind. Nur schon runtergeschluckt, bevor ich mir ihrer überhaupt bewußt bin. Was nützt mir die Erkenntnis? Ich möchte weinen,

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