Der Tod des Maerchenprinzen
Weiblichkeit nicht länger zu verstecken brauche. Ich glaube, daß ich jetzt auch im langen Rock durch mein Auftreten verkörpern kann, daß mann mich in Ruhe zu lassen hat.
Was ich schade finde, ist die Reaktion anderer Frauen. Ich registriere die Blicke, die regelmäßig erst über meinen Rock gleiten und dann auf mein Gesicht geheftet werden: Was ist denn das für eine? Was bildet die sich denn ein, so aus der Reihe zu tanzen? Die will wohl auf sich aufmerksam machen. Die Blicke der Männer auf sich ziehen.
Besonders von bieder gekleideten Ehefrauen kommt diese Reaktion. Und von poppig gekleideten Teenies. Ich weiß nicht, was ich machen soll. Ich habe nun mal Bock, mich so anzuziehen. Ich will anderen Frauen nicht die Männer wegschnappen. Was gucken die mich so giftig an? Früher habe ich nie solche Blicke geerntet. In Jeans und Parka war ich scheinbar keine ernst zu nehmende Rivalin. Plötzlich diese abschätzenden Blicke anderer Frauen.
Hauptbahnhof. Schon auf der Treppe dumme Sprüche hinter mir. «Haha, guck mal. So ’n Schlafanzug hab ich auch. Haha, und so ’ne Puschen. Hahaha.» — Macker, die mal wieder ihre Sprüche ablassen müssen. Scheißkerle. Als ich auf dem Bahnsteig stehe, gucken mich zwei Mädchen in Jeans etwas scheel von der Seite an.
Na ja. Ich geb’s ja zu. Ungewöhnlich ist es schon, heutzutage mit ’nem langen, weiten Rock und derben Bergstiefeln über ’n Hauptbahnhof zu rennen. Aber es ist schließlich 4 Grad unter Null. Und die Bergstiefel sind meine wärmsten. Außerdem: Ich mag mich leiden. Sollen die doch gaffen. Ungewöhnlich ist es vielleicht, also muß ich die erstaunten Blicke schon in Kauf nehmen. Aber die Macker mit ihren Sprüchen nicht. Ich hab doch wohl das Recht, als Frau ’n langen Rock anzuhaben, ohne daß die Typen daraus für sich das Recht herleiten, mich anzulabern. Ungewöhnlich ist es vielleicht. Aber so bin ich eben.
Als ich in den Zug steige, höre ich plötzlich die Stimmen im Vorbeigehen. «Ach, guck mal. Da ist sie ja wieder. Haha.»
Beim Vorbeigehen plötzlich eine Männerhand an meinem Rock. Und genauso plötzlich saust meine Hand kraftvoll auf den dazugehörigen Männerkopf nieder.
Vorbei bin ich. Setze mich einer alten Frau gegenüber hin. Jetzt bloß nicht noch zwischen Typen sitzen. Höre das Gelächter drei, vier Bänke weiter hinter mir. «Hahaha. Ich brech zusammen. Ha-haha. Ich brech zusammen. Hahaha. Ich brech zusammen.» Das alberne, verklemmte Gelächter des Besiegten, der seine Niederlage als Triumph zu verkaufen versucht. «Hahaha. Ich brech zusammen.»
Der Zug steht immer noch. Immer diese Scheißzüge nach Altona, die am Hauptbahnhof so lange halten. Wenn das Ding gleich abgefahren wäre, wären wir jetzt schon längst am Dammtor und ich könnte aussteigen. Mein Adrenalin-Spiegel ist noch nicht gesunken. Immer noch aufgeregt, aber schön aufgeregt. Ich fühle mich wohl. «Hahaha. Ich brech zusammen.»
Immerhin ist es erste Mal. Ich bin 24, und es ist das erste Mal, daß ich einem Typen, der mich angrabbelt, eine gescheuert hab. Und ich bin alleine. Ich bin alleine in der S-Bahn. Keiner kennt mich hier. Keine Feministin in Sicht, die eingreifen würde, wenn der Typ zurückschlägt. Ich bin alleine und habe es gewagt, einem fremden Typen in der Öffentlichkeit eine zu scheuern.
Ich bin 24. Seit ungefähr zehn Jahren werde ich täglich angegafft, angesabbelt und angegrabbelt. Heute habe ich zum erstenmal Zurückschlagen können. Zehn Jahre habe ich dazu gebraucht, lange genug. Aber was sind schon die zehn Jahre, die ich hinter mir habe, wenn ich daran denke, daß ich ab heute täglich den Mut haben werde, mich auch körperlich zu wehren.
Der Zug steht immer noch. «Komm, hör auf. Laß doch. Bleib hier. Komm. Mach keinen Scheiß. Laß das. Bleib doch hier. Komm. Laß das. Bleib hier.» Aber er bleibt nicht. Schon bevor ich ihn sehe, spüre ich, daß er hinter meinem Rücken auf mich zukommt.
Ist ja auch klar. Kein Mann kann es auf sich sitzenlassen, in der Öffentlichkeit von einer Frau geschlagen zu werden. Mann ist doch schließlich stärker. Und mann hat doch ein Recht darauf, frau anzugrabbeln. Erst recht, wenn sie aus der Norm fällt und es wagt, sich einen Hauch von Individualität zu geben. Und mit langem, weitem Rock und Bergstiefeln im Hauptbahnhof rumläuft. Warum trägt die nicht Jeans? Oder wenn schon ’n Rock, dann Perlonstrümpfe. Wenn der wüßte, daß ich zwei Paar lange Männerunterhosen unter meinem Rock
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