Der Tod des Maerchenprinzen
Daß ich nur die Sachen reinnehme, die politisch wichtig sind.
Als ich gehe, stelle ich mich neben ihn, fange an, seine Haare zu streicheln. Er umarmt mich. Ich küsse ihn zaghaft auf die Stirn. Er soll keine Angst mehr vor mir haben. Er steckt mit der Nase in meinem Nacken. Ich weiß nicht, ob ich mich aus dieser Umarmung lösen soll. Stehe so ungeschickt da, daß ich mich gar nicht entspannen kann. Versuche mich auf seine Stuhlkante zu knien. Alles gar nicht wie im amerikanischen Serienkrimi.
Aber darauf kommt es gar nicht so an. Diese blöde körperliche Distanz ist erst mal weg, die heute am Anfang wieder da war. Er ist gleich von der Tür weggerannt, als ich in seine Wohnung kam, und hat sich auf seinen Stuhl am Schreibtisch zurückgezogen.
Ich küsse ihn auf die Wange und sage tschüs. Er guckt sich nicht mehr nach mir um, als ich seine Wohnung verlasse.
Draußen auf der Straße wird mir seine Angst bewußt. — Was muß dieser Mensch für eine Angst vor mir haben?
Am Freitagabend fällt mir plötzlich ein, daß ich nächsten Sonnabend gar nicht kann. Ich rufe Sabine an. Sie sieht ihn doch am Dienstag. Ob sie ihm nicht sagen kann, daß ich Sonnabend nicht kann und ob er nicht Sonntag kommen könnte.
«Ja», sagt Sabine, «das Dumme ist nur, daß ich mich Dienstag gar nicht mit ihm treffe, weil ich nämlich nicht kann.»
«Aber du mußt ihm doch sowieso noch Bescheid sagen, kannst du nicht bei ihm vorbeigehen?»
Ja, das will sie. Und dann erzähle ich ihr noch die Geschichte von gestern abend. Daß ich zu Arne gesagt habe, daß ich von ihr komme, und er sofort wieder eine Zusammenrottung von Frauen am Dienstag auf sich hat zukommen sehen. «Wie würdest du den Satz verstehen?» frage ich Sabine.
«So wie du ihn gemeint hast», sagt sie.
Und dann frage ich sie noch mal, wann sie denn bei Arne vorbeigeht. Und daß sie ihm sagen soll, daß ich Dienstag abend Zeit hätte und mich dann mit ihm treffen will. Daß wir ihn uns ja sozusagen austauschen können, wenn wir beide am verabredeten Termin keine Zeit hätten.
«Oder weißt du was?» meint sie. «Geh du doch Dienstag abend einfach hin.»
«Nee. Das will ich nicht. Erstens will ich, daß er mal wieder zu mir kommt. Und außerdem will ich nicht bei ihm aufkreuzen, wenn er seelisch nicht auf mich vorbereitet ist, der arme Kerl.» Dann würde seine eigenen Freudsche Fehlleistung noch zur Self-fulfilling prophecy werden. Das kann ich ihm nicht antun.
Wir müssen beide lachen. Sabine will spätestens Montag bei ihm vorbeigehen und es ihm sagen.
Als Arne mich am Dienstag besucht, gebe ich ihm den Ordner mit dem Manuskript mit. Ich schreibe ja schließlich ein Buch über ihn, weil ich Klarheit über seine Person und unsere Beziehung haben will. Ich möchte mich so bald wie möglich auch mit ihm darüber auseinandersetzen. Wir klönen ein bißchen über seine politische Arbeit. Ein bißchen über mein Buch. Wir schalten den Fernseher ein und schalten ihn wieder aus, weil es uns zu blöd ist, was da wieder an Sex and Crime über uns herfällt. Ich lege mich ins Bett und lese, Arne sitzt am Schreibtisch und liest. Ich werde müde. Stecke mir meine Ohrenstöpsel in die Ohren und mache das Licht aus. Eigentlich würde ich ihn jetzt gerne neben mir liegen haben und mich an ihn ankuscheln. Hoffentlich kann ich schlafen heute nacht . Nicht daß ich wieder so unruhig bin, weil ich mir irgendwas erhofft habe und der Kerl jetzt am Schreibtisch sitzt und Mao liest. Arne kommt ins Bett. Keine Berührung. Ich gebe ihm ein Kopfkissen ab. Ich schlafe ein. Ich schlafe gut. Ich bin nicht unruhig.
Zwei Wochen später bringt Arne mir den Ordner wieder. Er sagt nicht viel dazu. Er sagt, daß er die Stelle mit der Kiste sehr treffend fand. Daß er gelacht hat und sich kaum wieder einkriegen konnte.
Viel mehr sagt er nicht. Ich frage auch nichts. Obwohl ich schon gerne wissen möchte, wie er es denn nun findet. Wie sich jemand fühlt, der gerade ein Buch über sich gelesen hat. Ein Buch, das ich geschrieben habe.
Arne sagt nichts. Er weiß nun alles über mich. Wie ich so im letzen halben Jahr gefühlt und gedacht habe. Wie ich ihn empfunden habe. Er weiß alles über mich. Ich weiß kaum etwas über ihn. Ich frage nichts. Ich bin müde geworden. Müde, mich noch einmal am Deckel der großen schwarzen Kiste zu schaffen zu machen. Ich kriege ihn ja sowieso nicht auf. Ich habe begriffen, daß es nur einen gibt, der den Deckel aufmachen kann. Und das ist Arne. Ich kann ihm nur
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