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Der Tod des Maerchenprinzen

Der Tod des Maerchenprinzen

Titel: Der Tod des Maerchenprinzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Svende Merian
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«Findest du mich zu radikal?» Ich sage ihm, daß es für mich kein «zu radikal» gibt. Aber daß mich das, was er an sich selber «Radikalität» nennt, auch stört, weil ich unter radikal etwas anderes verstehe. Für mich gibt es kein «zu radikal», weil ich Radikalität immer positiv definiere. Was «zu radikal» ist, ist nicht mehr radikal, sondern sektiererisch. Radikalität ist für mich immer die der Situation angemessene Militanz.
    Arne sagt, daß die Leute aus seiner BI es zu radikal gefunden hätten, was er das letzte Mal in Brokdorf gemacht hat. Ich sage ihm noch mal, daß es für mich kein «zu radikal» gibt. Wenn andere Arne zu radikal finden, dann heißt das für mich, daß er die der Situation angemessene Militanz überschritten hat. Daß er nicht «zu radikal», sondern zu sektiererisch war. Außerdem kann ich zur Situation selber wenig sagen. Da müßte ich schon mal die Leute aus seiner BI zu hören. Aber eigentlich bin ich auch viel zu müde für so eine Diskussion jetzt.
    Und dann schlafen wir Hand in Hand ein. Bzw. Arne schläft ein. Ich liege wach. Irgendwie kann ich in den Nächten, wo Arne neben mir liegt, immer nicht schlafen.
    Als er am Morgen geht, läßt er Sachen bei mir liegen, die er nicht mit zur Arbeit nehmen will. Donnerstag nach dem Plenum will er sie sich abholen. Als er Donnerstag abend kommt, habe ich schon ganz viel gepackt. Alle kleinen Lampfen zum Beispiel, weil die vorher in die Wohnung gebracht werden sollen. Im großen Zimmer leuchtet nur noch eine blanke Hundert-Watt-Birne. So richtig schön ungemütlich. Wenn Arne nun ein bißchen länger bleibt, will ich lieber im Kerzenschein mit ihm reden. Arne sucht seine Sachen und findet sie nicht. Ich mache in einem unbeobachteten Moment zwei Kerzen an. Mache das große Licht aber noch nicht aus. Das wäre zu auffällig. Nicht daß er denkt, ich will mit plumpen Mitteln auf Krampf eine vertrauliche Atmosphäre schaffen. Und dann gehe ich wieder ins kleine Zimmer. Das Licht kann ich ja gleich wie zufällig ausmachen.
    Arne geht einmal kurz ins große Zimmer durch, findet seine Sachen immer noch nicht. Wird etwas sauer, weil er denkt, ich hätte sie mit eingepackt. Und dann meint er: «Ich will aber gleich wieder gehen.»
    «Ja, ja», sage ich. So selbstverständlich wie möglich. Nicht daß er denkt, ich will, daß er länger bleibt. Der hat ja eben die Kerzen gesehen. Und hat mitgekriegt, daß sie noch nicht an waren, als er kam. Nicht daß er denkt, ich will was von ihm.
    Hätte ich bloß die Kerzen angemacht, bevor er kam! Dann hätte es wirklich wie zufällig ausgesehen. Der hat doch bestimmt geschnallt, daß ich die seinetwegen angezündet habe.
    Arne geht. Scheiße. Ich hatte mich doch so darauf gefreut, daß er hier bleibt heute abend . Auch wenn nichts abgemacht war. Ich hatte damit gerechnet.
    Aber er kommt ja Sonnabend. Zum Umzug.

    Am Sonnabendmorgen fange ich voller Elan in aller Herrgottsfrühe mit der Arbeit an. Wir packen den Wagen voll. Halb zehn. Eigentlich hatten wir neun Uhr gesagt. Die meisten sind noch nicht da. Arne auch nicht. Aber bis wir hier abfahren, kommen die sicher noch. Mit einem ständigen Auge auf die Hofeinfahrt arbeite ich weiter. Jetzt müßte er aber eigentlich kommen.
    Als wir losfahren, machen wir noch einen Zettel mit der neuen Adresse und Telefonnummer an die Tür: «Für alle Zuspätkom-mer!» schreibe ich und meine damit natürlich nur Arne. Ob die anderen noch nachkommen ist mir egal. Hauptsache Arne kommt.
    Arne kommt nicht. Nicht am Vormittag. Nicht am Nachmittag. Arne ruft auch nicht an.
    Typ, du versetzt mich einmal — ich diskutier das, du versetzt mich ein zweites Mal —, ich diskutier das, du versetzt mich ein drittes Mal, ich diskutier nichts mehr. Dann ist Schluß.
    Das hab ich mir immer gedacht. Und jetzt ist der Punkt erreicht. Jetzt hat er’s ein drittes Mal gemacht. Ich bin mit ihm fertig. Es macht mir wirklich nichts mehr aus. Ich merke, daß ich es ganz gleichgültig registriere. Daß ich nichts mehr von ihm will. Er ist für mich gestorben. Ich bin nicht mehr traurig. Ich rege mich nicht mehr auf. Ich bin ganz cool und nüchtern. Es kratzt mich nicht mehr. Wenn er mich noch mal anruft, sage ich ihm, daß er ein Schwein ist und ich nichts mehr mit ihm zu tun haben will. Und dann lege ich auf.
    Aber er ruft nicht an. Er ruft noch nicht einmal an, um zu sagen, warum er Sonnabend nicht gekommen ist. Er muß doch nun mal anrufen. Damit ich ihm sagen kann, daß ich nichts

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