Der Tod des Staatsanwalts (German Edition)
glanzlosen Augen zeugten von Traurigkeit und Leid. Müde blickte sie dem Besuch entgegen.
„ Guten Morgen, Frau Meirich.“ Leise schloss Daja die Tür des Einzelzimmers hinter sich und reichte der Älteren die Hand.
„ Guten Morgen, Frau Cornelius.“
„ Wie geht es Ihnen heute?“
„ Nicht sonderlich gut.“
„ Darf ich mich trotzdem setzen und Ihnen ein paar Fragen stellen?“
„ Ja, bitte. Ich bin bereit, Ihnen die Geschehnisse der Vergangenheit und auch die der Gegenwart zu berichten. Vielleicht bringt es die ersehnte Erleichterung.“ Zaghaft lächelnd wies sie mit der Hand auf einen am Fenster stehenden Stuhl. „Was macht Felix?“
„ Er wurde der Justizvollzugsanstalt Gössingen überstellt und befindet sich dort in Untersuchungshaft.“
„ Und Thomas? Ist er wirklich tot?“ Tränen spiegelten in ihren Augen, während sie nach der Hand der Kommissarin tastete.
„ Ja, er ist tot.“ Beinahe liebevoll erwiderte diese den Händedruck der im Bett Liegenden.
„ Sie wissen alles, nicht wahr?“
„ Nein, nicht alles. Sonst wäre ich jetzt nicht hier. … Frau Meirich, ich bin eine sehr gute Zuhörerin und würde gern aus Ihrem Mund die ganze Geschichte erfahren.“
Mit leiser, aber fester Stimme, begann Agnes Meirich zu erzählen:
„ Alles begann vor mehr als zwanzig Jahren.“ Sie starrte unter die Zimmerdecke. „Wie ich Ihnen bereits bei unserer ersten Begegnung sagte, starb mein Mann Heinz sehr früh. Unsere Ehe war kinderlos. Fast zur gleichen Zeit verschied auch Hermanns Frau Wiebke. Beide vermissten wir unsere Partner sehr und telefonierten beinahe täglich miteinander. Uns trennten zweihundert Kilometer voneinander. Doch wie es das Schicksal so wollte, lernte ich eines Tages Thomas Bräusperich kennen und lieben. Ich erzählte Hermann natürlich davon und glaubte, er würde sich mit mir freuen. Doch die Realität sah völlig anders aus. Nur bemerkte ich sein Täuschungsmanöver leider viel zu spät. Aufgrund seiner Tätigkeit als Staatsanwalt war er in der Lage, Thomas Personalien polizeilich zu überprüfen und von seiner kriminellen Vergangenheit zu erfahren.
Fortan war Thomas meinem Bruder Hermann ein Dorn im Auge. Er fürchtete um seine Beförderung und hatte zusätzlich Angst, mich an einen ehemaligen Einbrecher zu verlieren. Obwohl wir lediglich geschwisterliche Gefühle füreinander hegten, schien Hermann von immenser Eifersucht geplagt zu sein. Insgeheim schien er zu hoffen, dass ich zu ihm nach Gössingen umsiedeln würde, wenn es Thomas nicht gäbe. Deshalb bestach er ihn hinter meinem Rücken mit viel Geld, damit er sich von mir trennte. Ich wusste nichts davon und war sehr traurig, als mein Geliebter Hals über Kopf wieder aus meinem Leben verschwand. Das Angebot meines Bruders war wohl zu verlockend gewesen. Kurz darauf stellte sich heraus, dass ich schwanger war. Erfreut darüber, wenigstens ein Andenken von Thomas zu haben, folgte ich Hermanns Vorschlag, bei ihm einzuziehen.
Zum damaligen Zeitpunkt bewohnte er eine riesige Villa am Stadtrand von Gössingen. Mehrmals in der Woche kam eine Zugehfrau, die das Haus in Ordnung hielt. Er entließ sie und auch den Gärtner, nachdem er sich meiner sicher sein konnte. Dankbar für seine scheinbare Güte, fuhr ich mit meinem Baby dort hin. Er bat mich, vorerst Stillschweigen in Bezug auf Felix Geburt zu bewahren, um den angeblichen Tratsch der Leute zu unterbinden. Obwohl ich sein Ansinnen nicht verstand, war es für mich selbstverständlich, seinem Wunsch Folge zu leisten. Dabei kannte ich in der neuen Umgebung doch gar keinen Menschen, dem ich davon hätte berichten können. Gleich am folgenden Tag nach meinem Einzug, bekam ich heftige Zahnschmerzen und musste zum Zahnarzt. Während meiner Abwesenheit wollte Hermann sich um Felix kümmern. Als ich nach drei Stunden wieder zu Hause ankam, war mein Kind nicht mehr vorhanden. Obwohl ich überall nach ihm suchte, blieb es spurlos verschwunden. Hermann empfing mich mit Trauermiene und erklärte mir, dass Felix am plötzlichen Kindstod gestorben sei und er alles in seiner Macht stehende versucht hätte, um ihn zu retten. Aus Sorge, man könne ihm keinen Glauben schenken, durfte die Angelegenheit nicht publik gemacht werden. Ich schrie und tobte, weil ich zu meinem Kind wollte, aber Hermann versicherte mir, ihn an einem stillen Ort beerdigt zu haben. Schon damals hätte ich merken müssen, dass Hermann keine Kinder mochte. Aber ehrlich gesagt, ist es mir nie zuvor aufgefallen.
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