Der Tod des Teemeisters
Morgen oder übermorgen werden sie in voller Blüte stehen. In Gedanken an den Topf Yaezakura, der nach der gleichnamigen Kirschbaumart benannt ist, und das Räuchergefäß Miyoshino erging ich mich unter dem blühenden Baum.
Neunundzwanzigster Tag, zweiter Monat
Leichter Regen
Gestern habe ich meine Abschrift von Yamanoue Sōjis Manuskript unterbrochen, um einen Ruhetag einzulegen. Heute widmete ich mich dem letzten Teil. Zur Stunde des Tigers 16 erhob ich mich, machte Feuer und setzte mich an den Schreibtisch. Als Meister Rikyū noch lebte, hielten wir vom Beginn des Winters bis zum Frühling allmorgendlich um diese Zeit eine Teezeremonie. Heute wurde ich wieder einmal daran erinnert, wie kalt doch das Wasser um diese Zeit ist.
Nun machte ich mich an die Abschrift des Kapitels »Die Zehn Verpflichtungen eines Teemenschen«. Zuvor hatte ich bereits den Teil abgeschrieben, der den Teemenschen als hervorragenden Kenner von Gerätschaften und der Zeremonie definiert sowie als einen Mann, der seinen Lebensunterhalt durch seine meisterhafte Beherrschung der schlichten Strenge bestreitet. Heute waren, wie gesagt, die »Zehn Verpflichtungen des Teemenschen« an der Reihe.
Ich frage mich, ob Bruder Sōji hier nicht größtenteils das aufgezeichnet hat, was er von Meister Rikyū gelernt hat,denn während ich den Pinsel in der Hand hielt, glaubte ich, immer wieder die Stimme meines Meisters zu hören. »Den Teeweg sollte man im Frühling und im Winter am Morgen beschreiten und am Abend beenden. Dabei sollte man das Gefühl von Schnee im Herzen tragen. Im Sommer und Herbst geht man ihn nur bis zum frühen Abend. Ist man in einer Mondnacht allein, kann man es auch noch spät in der Nacht tun.«
Ob diese Stelle von Meister Rikyū stammt? Als ich sie abschrieb, verspürte ich einen Stich im Herzen. Diese Regeln würden wahrhaftig genau zu meinem Meister passen.
»Im Alter zwischen fünfzehn und dreißig Jahren sollte man die Anweisungen seines Meisters aufs strengste befolgen. Zwischen dreißig und vierzig muß man sich von ihm lösen und allein leben. Die Jahre zwischen vierzig und fünfzig sind die Zeit, in der der Schüler eine dem Meister entgegengesetzte Richtung einschlägt, um einen eigenen Stil zu schaffen und sich einen Namen zu machen, damit der Weg des Tees frisches Grün treibt. Zwischen fünfzig und sechzig kehrt man zum Meister zurück und ahmt auch kleine Gesten wie das Umgießen von Wasser nach. Und nimmt sich alle Meister zum Vorbild. Mit siebzig sollte man den vollendeten Stil Sōekis gemeistert haben, den kein anderer Meister zu erreichen vermochte.«
Wahrscheinlich beinhaltet dieser Abschnitt die geheime Überlieferung der Teelehre von Jōō an Rikyū und von Rikyū an Sōji, die dieser hier mit seinen eigenen Worten weitergibt. Zweifellos berührt er hier den Kern der Lehre. Aus dem Satz »mit siebzig den vollendeten Stil Sōekis gemeistert haben« lese ich Sōjis grenzenlose Verehrungfür Meister Rikyū heraus. Gewiß hatte er sich beim Schreiben gefragt, ob er selbst nach all seinem Bemühen mit siebzig Jahren diese Meisterschaft erreichen würde.
Am Nachmittag nahm ich mir die »Viten der Teemeister« vor. Sie beginnen mit Nōami und Jukō und reichen bis zu Tsuji Genya, einem Schüler von Jōō. Es sind zwanzig Namen, mit einfachen Schilderungen versehen. Einige der alten Meister besaßen Dutzende von Gerätschaften, andere nur einen einzigen Gegenstand.
Bei mehreren hat Sōji eine persönliche Beurteilung hinzugefügt. Über Sōgo aus Shimogyō schreibt er beispielsweise, dieser sei nur ein Teeliebhaber, aber kein Kenner, da er eine große Anzahl minderer Gegenstände besitze, keines jedoch von herausragender Qualität sei. Jōō s Schüler Genya Tsuji habe zwar alles von seinem Meister gelernt, sei indes weder ein Kenner noch vermöge er eine verfeinerte Teezeremonie zu leiten. Selbst bei einem hervorragenden Lehrer bleibe ein Mann ohne Begabung sein ganzes Leben ein Stümper. In solchen Äußerungen tritt der unbestechliche Charakter Sōjis zutage, von dem Herr Kōsetsusai gesprochen hat.
Andererseits schrieb er: »Jōō verstarb mit vierundfünfzig. Seine Art der Teezeremonie war so vorbildlich und erlesen, daß sie die Kirschblüte von Yoshino, die Blüte des Sommers und das bunte Laub im Herbst übertraf.« Oder: »Der Stil Insetsus, der mit siebzig verstarb, läßt sich mit einem Baum vergleichen, dessen Blätter ein Oktoberregen gezaust hat.«
Oder: »Der Stil des mit achtzig
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