Der Tod des Teemeisters
mich schickte, eine Abschrift zu erstellen, aber es schien die einzige Möglichkeit, mir den schwierigen Inhalt anzueignen. Und soweit ich es beurteilen kann, besitzt sie keine der verschleiernden Merkmale vieler geheimer und esoterischer Schriften.
Eigentlich müssen Werke über den Weg des Tees im Grunde nicht geheim oder esoterisch sein, und diese Schrift schließt sogar mit folgender Bemerkung:
»Im allgemeinen braucht man über den Weg des Tees von jeher keine Schriften. Es genügt, die alten chinesischen Gerätschaften zu kennen, Umgang mit tüchtigen Teemeistern zu pflegen und Tag und Nacht mit ihnen die Teezeremonie zu üben. Sie sind es, die die Teekunst weitergeben.«
Weiter steht dort: »Diese Schrift ist nur für einen Anfänger von Wert. Ein Kenner des Wabi bedarf ihrer nicht.« Ich glaube nicht, daß ihr Verfasser Yamanoue Sōji etwasdagegen hätte, wenn ich sein Werk abschreibe. Auch ihr Besitzer Kōsetsusai hat mir dies ja bei seinem gestrigen Besuch ausdrücklich gestattet.
Am Abend setzte ich mich wieder an den Schreibtisch, auf dem Sōjis Schrift lag, rieb Tusche und ergriff den Pinsel. Ich beschloß, das Manuskript Seite für Seite auf japanisches Papier abzuschreiben, wie es Herr Kōsetsusai getan hat. Zu Meister Rikyūs Zeiten habe ich bisweilen auf seinen Wunsch alte Texte kopiert, doch nun schon länger nicht mehr.
Die ersten drei Seiten erläutern auf einfache und anschauliche Weise die Zeit ab der Epoche des dritten Shōguns der Ashikaga bis zum Auftreten Jukō s, des Ahnherrn der Teezeremonie. Diese Erklärungen unterscheiden sich nicht von dem, was ich von meinem Meister gehört habe. Doch da meine Erinnerung daran inzwischen getrübt ist, war ich dankbar für die überaus klare Schilderung. Zum Schluss heißt es dort:
»Noch nach dem Ableben des erlauchten Higashiyama (Ashikaga Yoshimasa) veranstalteten die Adligen Teezeremonien... . Die Gerätschaften verbreiteten sich allerorten, und der Teeweg blühte und gedieh. Die Nachfolger Jukōs waren Sōju, Sōgo, Zenkō, Tōden, Sōtaku, Shōteki und Jōō.«
In diesem Zusammenhang taucht erstmals der Name Jōō auf. Er war der Lehrer meines Meisters.
Bemerkungen über Teemenschen und berühmte alte und neue Teeliebhaber beschließen diese Geschichte des Teewegs. Jedes ihrer Worte beschwor Erinnerungen in mir herauf, und meine Wißbegierde ließ nicht nach.
»Als Chajin – als Teemenschen – bezeichnet man jemanden,der mit den für die Teezeremonie notwendigen Gerätschaften vertraut ist, ein Kenner ihres Ablaufs ist und auf diese Weise seinen Lebensunterhalt bestreitet.«
»Als Wabisukisha – Teeliebhaber im Sinne des Wabi – bezeichnet man einen Mann, der nichts besitzt, jedoch über drei Kriterien verfügt: innere Entschlossenheit, Schaffenskraft und künstlerische Fähigkeit.«
»Als Meister gilt derjenige, der Willenskraft und alle Kriterien des Teemenschen auf sich vereint sowie ein Kenner und Sammler chinesischer Antiquitäten ist.«
Als Teemenschen genannt wurden Matsumoto Juhō und Shino Dōji. Awataguchi Zenpō galt als Teeliebhaber. Juhō, Dōji und Zenpō waren Teemenschen aus der Epoche des Shōguns Higashiyama, deren Namen in den Erzählungen meines Meisters, der ein Schüler in der Nachfolge Jukōs war, häufig vorkamen. Der Definition, Teemeister und Liebhaber aus alter und neuerer Zeit zu sein, entsprachen überdies Jukō, Insetsu und Jōō.
Hier unterbrach ich den ersten Tag meiner Kopierarbeit und gab mich eine Weile meinen eigenen Gedanken hin. Nach einem späten Abendessen grübelte ich weiter nach. Ich hatte das Gefühl, in die Welt des Tees zurückgekehrt zu sein, aus der ich mich vor langer Zeit zurückgezogen habe.
Sōji nennt Zenpō als Teeliebhaber, was ich durchaus als gerechtfertigte Wahl ansehe, aber ich erinnere mich, daß ich beim Abschreiben dieses Abschnitts am liebsten den Namen Tōyōbō statt Zenpō eingesetzt hätte. Fünf Jahre sind seit dem Tod von Herrn Tōyōbō vergangen. Im Herbst des zweiten Jahres Keichō 14 hatte ich ihn im Shinnyodō besucht. Doch im Jahr darauf verschieddieser edle Teefreund im Alter von vierundachtzig Jahren. In der Stille der Frühlingsnacht ließ mich die Erinnerung an Herrn Tōyōbō eine Weile nicht los.
Siebenundzwanzigster Tag, zweiter Monat
Sonnenschein
Den Fünf- sowie den Sechsundzwanzigsten habe ich damit verbracht, Jukō s Aufstellung zu kopieren. Heute abend bin ich am Ende angelangt; das heißt, ich habe die Abschrift innerhalb von drei Tagen
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