Der Tod des Teemeisters
wunderbar, wie er uns glauben machte, die rote Schale von Chōjirō sei eigens mit einem schnellen Schiff herbeigeschafft worden. Doch noch etwas geschah bei dieser morgendlichen Teegesellschaft.
Die Herren Ujisato und Sansai äußerten nahezu gleichzeitig den Wunsch, die Schale Hayafune zu besitzen. Beide bestanden sogar recht heftig darauf. Meister Rikyū schwieg und lächelte die ganze Zeit dazu, aber als die Zeremonie zu Ende war und alle sich zurückgezogen hatten, schickte er eine Nachricht an mich. Wenngleich die Herren Sansai und Ujisato die Schale Hayafune beide begehrten, wünsche er selbst jedoch, daß Herr Ujisato sie erhalte, und er bat mich, Herrn Sansai zu überzeugen. Da Herr Ujisato am nächsten Tag Kyōto verlassen sollte, mußte das Problem noch am selben Tag gelöst werden. Meister Rikyūs Nachricht war zwar eigentlich an mich gerichtet, dennoch waren als Empfänger die »Drei ehrenwerten Herren« angegeben. Dieses feine Taktgefühl war typisch für Meister Rikyū . Auch seine Entscheidung, daß Herr Ujisato Hayafune erhalten sollte, war bewundernswert, denn die rote Raku-Teeschale war wie für ihn gemacht. Herr Ujisato besaß die kühne Fähigkeit, die verschiedensten Ansichten zu respektieren. Ich frage mich, ob Meister Rikyū damals für Sansai statt dieser roten nicht eine schwarze Schale im Sinn hatte. Eine rote Raku-Schale hätte nicht zu Sansai gepaßt! Falls ich recht habe, bewies Meister Rikyū auch hier wieder seine tiefe Menschenkenntnis. Er kannte den Charakter der Teemenschen um sich herum durch und durch.
Herr Ujisato wurde ein großer Lehnsherr, der 92 000 Koku 24 Reis von seinen Ländereien in Kurokawa in der Gegend von Aizu erntete. Leider ist er vor ungefähr zehn Jahren gestorben. Nach Rikyūs Tod hat er dessen zweiten Sohn Shōan zu sich genommen und sich sehr um ihn gekümmert. Nicht jeder hätte das gewagt. Er war ein bemerkenswerter Mann.«
Davon hörte ich zum ersten Mal. Zwanzig Jahre habe ich verstreichen lassen, ohne etwas über die Familie meines Meisters zu erfahren.
»Welches Glück für Meister Rikyū, daß es jemanden wie Euch gibt, Herr Oribe. Jemanden, der die Erinnerungen an sein Leben pflegt.«
»O nein, das Wichtigste weiß ich nicht: Was hat er ganz zuletzt gedacht und gefühlt? Ich glaube, Meister Rikyū wußte genau, warum er den Befehl erhielt, sich zu töten. Er muß es gewußt haben. Wir anderen sind es, die nichts wissen.«
»Auch Ihr nicht, Herr Oribe?«
»Natürlich nicht. Herr Sansai wohl auch nicht. Wir können nur vermuten. Es sind noch immer Gerüchte im Umlauf. Alte und neue.«
»Geheime und mündliche Überlieferungen.«
»Ja, beides. Doch inzwischen sind zwanzig Jahre vergangen und Taikō Hideyoshi ist tot. Geheime oder mündliche Überlieferung, alte oder neue Gerüchte, alles verliert sich im Strom der Zeit. Doch eines, das Wichtigste, würde ich gern wissen, und Herrn Sansai geht es vermutlich genauso. Wie hat sich Meister Rikyū in den letzten zehn Tagen in Sakai gefühlt? Was hat er gedacht? Was meint Ihr, Honkakubō?«
»Ach, wie soll meinesgleichen ...« Mehr brachte ich nicht heraus.
»Was ist nur in ihm vorgegangen? Warum hat er sich nicht verteidigt? Er wäre ganz sicher in der Lage gewesen, Hideyoshis Zorn zu besänftigen.«
»Aber wäre es denn möglich gewesen, Fürst Hideyoshi zu beschwichtigen?«
»Ich glaube ja. Aber Rikyū hat sich mit keinem Wort verteidigt und niemanden um Hilfe gebeten. Es beschäftigt mich unablässig, was er sich dabei gedacht hat. Was glaubt Ihr, der so viele Jahre in engster Nähe zu ihm verbracht hat?«
»Wie kann jemand wie ich das wissen, wenn Ihr es nicht wißt, Meister Oribe. Er hat die Villa Juraku damals sehr plötzlich verlassen. Danach habe ich ihn nie mehr gesehen. Das ist alles. Ich weiß nicht einmal, wo er sich getötet hat. Ich weiß nichts, rein gar nichts.«
»Dann hören wir damit jetzt auf. Meine Einladung diente ohnehin nicht nur dem Zweck über Meister Rikyūs Größe zu sprechen. Wir sind abgeschweift, und unser Gespräch hat eine allzu ernste Wendung genommen. Seht Ihr Herrn Sansai manchmal?«
»Nein, aber hin und wieder höre ich etwas über ihn. Er ist kein junger Mann mehr wie vor zwanzig Jahren, und jemand wie ich kann nicht einfach ...«
»Aber nein, wenn sich die Gelegenheit ergibt, werde ich ihm von Euch sprechen. Es wird ihm ein Vergnügen sein. Herr Sansai hat sich Rikyū und seinem Teestil geweiht. In dieser Hinsicht gleichen wir uns. Aber an offiziellen
Weitere Kostenlose Bücher