Der Tod des Teemeisters
seiner Villa in Fushimi zum Tee eingeladen. Seither sind zehn Tage vergangen.
Gestern abend gab es den ersten heftigen Frühlingssturm, und da es auch heute noch ziemlich kräftig weiterbläst, werde ich im Haus bleiben, um meinen Besuch bei Herrn Oribe, unser Gespräch und meine sonstigen Eindrücke zu schildern.
In den letzten Jahren habe ich mir angewöhnt, täglich einige kurze Notizen zu machen, die als Tagebuch zu bezeichnen jedoch übertrieben wäre. Ich beabsichtige, ausführlich über meine erste Begegnung mit Herrn Oribe seit zwanzig Jahren zu schreiben, vielleicht habe ich den Bericht deshalb bis jetzt vor mir hergeschoben.
Genau einen Monat vor dem oben genannten Datum ließ Oribe mir eine Nachricht zukommen. Überbracht wurde sie von einem Mann aus der Stadt, dem ich schon ein paarmal begegnet bin.
»Wir haben uns so lange nicht gesehen, und ich würde mich sehr gern einmal mit Euch unterhalten. Ich werde Euch nur Tee und eine Kleinigkeit zu essen anbieten. Es würde mich sehr freuen, wenn Ihr geruhtet, zur Stundedes Widders 22 zu erscheinen«, hatte Herr Oribe mir ausrichten lassen. Der Überbringer der Botschaft erklärte mir, die Einladung erfolge auf diesem Wege, da Herr Oribe als berühmtester Teemeister unserer Zeit überaus beschäftigt sei.
Dankbar sagte ich zu. Ich erinnere mich, daß Herr Oribe, wenn wir uns zu Lebzeiten Meister Rikyūs in der Villa Juraku begegneten, stets ein freundliches Wort für mich hatte. Seither sind zwanzig Jahre vergangen, nicht gerade eine kurze Zeit. Es beglückte mich, daß er mich nicht vergessen hatte und mich einlud. Überdies wollte ich mir Herrn Oribe, der inzwischen der einflußreichste Teemeister ist, gern aus der Nähe ansehen. Anhand meines Alters konnte ich das seine berechnen: Wenn ich neunundfünfzig bin, muß er siebenundsechzig sein. Er ist also nicht mehr weit entfernt von dem Alter, in dem Meister Rikyū starb.
Andererseits wollte ich nicht außer acht lassen, daß er nach Meister Rikyūs Tod in der Gunst des Taikō gestiegen war und seine Stellung gefestigt hatte, ohne Rücksicht auf meinen Meister. Außerdem hat er sich nach dem Hinscheiden des Taikō dem Gefolge von Shōgun Ieyasu angeschlossen und beherrscht inzwischen alles, was im Hause des Shōguns mit Tee zu tun hat. Gerüchten zufolge soll Herr Oribe den Teestil meines Meisters völlig verändert haben. Was er geändert hat, entzieht sich meiner Vorstellung, aber wenn die Leute darüber redeten, ist an diesen Gerüchten sicher etwas Wahres.
Daß Herr Oribe mich nach zwanzig Jahren nicht vergessen hatte und zu sich einlud, rührte mich dennoch sehr. Vor allem freute ich mich darauf, mit jemandem sprechenzu können, der meinem Meister so nahegestanden hatte. Der Gedanke, mich ausführlich über ihn unterhalten zu können, erfüllte mein Herz – ob mit Traurigkeit oder Entzücken, vermochte ich nicht genau zu unterscheiden. Als Herr Kōsetsusai noch wohlauf war, habe ich ihn zuweilen aufgesucht, um mit ihm über Meister Rikyū und Sōji zu sprechen, aber er ist im vergangenen Jahr im Alter von vierundsiebzig Jahren von uns gegangen. Seither bin ich Tag und Nacht allein gewesen. Als mich Herr Oribe nun für einen Monat später einlud, konnte ich diesen Tag kaum erwarten.
Zehn Tage vor meinem Besuch in Meister Oribes Villa knospten die weißen Pflaumenblüten, und einen Tag davor öffneten sich die roten. An diesem Tag ging ich auf dem Hügel hinter dem Haus spazieren und pflückte einen Strauß Huflattich, um ihn als Gastgeschenk mit nach Fushimi zu nehmen.
Ich brach um die Mittagszeit nach Kyōto auf und verbrachte den Rest des Tages im Daitokuya in Teramachi. Am nächsten Morgen machte ich mich auf den Weg nach Fushimi, wo ich am Nachmittag eintraf. Ich machte bei einem Bekannten Rast, der in Rokujizō wohnt, und kam um die verabredete Stunde in Oribes Villa an.
Über dem Weg, der durch den Garten führte, lag ein leichter Duft. Ich betrat durch eine kleine Pforte die Teehütte aus Schilfgras, und Herr Oribe kam mir entgegen. Er erschien mir stattlicher als vor zwanzig Jahren, doch sein scharfer durchdringender Blick, mit dem er einem Menschen ins Herz zu blicken vermag, hat sich nicht verändert.
»Es ist lange her«, sagte ich mit einer tiefen Verbeugung.»Ich freue mich, Euch bei guter Gesundheit zu sehen.« »Ich bin tief bewegt.«
»Auch ich bin gerührt.«
Ich konnte meine Tränen kaum verbergen.
»Ihr habt Euch kein bißchen verändert, Bruder Honkaku.«
»Ihr auch
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