Der Tod des Zauberers
Alex mit Angelgerte und Wurmdose zum See hinunter, und hinter Vickys Fenster bewegte sich die Gardine. Aber ich winkte nicht zu ihr hinauf.
Von Pertach nach Achenreuth war es ein Weg von etwa drei Kilometern. Die von Bauernfuhrwerken und Holzschlitten tief eingeschnittene Straße, ein Sommerweg ohne festen Untergrund, lief über den Fuß eines Hügels. Links breiteten sich Wiesen und Kleeäcker aus, und rechts schob sich ein Wald mit dichtem Unterholz und Brombeergestrüpp an die Straße heran. Wie immer hielt ich, als ich den höchsten Punkt erreicht hatte. In der Ferne blinkte das goldene Turmkreuz von Heiligblut, dem nächsten Kirchdorf, über die Hügel. Nie hatte ich die Einsamkeit von Pertach und dem Georgischlößl so stark empfunden wie heute. Es lag ans Wasser gedrängt in der Seemulde, der Himmel wölbte eine makellos blaue Kuppel darüber, und die einzige Straße, auf der ich mich befand, zog sich lehmig gelb durch die buckligen Wiesengründe und endete zwischen den Hecken, die Pertach säumten, als wäre dort die Welt zu Ende. Ich konnte es verstehen, daß Vicky Alexander herbeigerufen hatte. Sofie begegnete ich nicht. Dafür kam mir mitten im Dorf der Gendarmerieoberwachtmeister Veitl entgegen, ein strammer Mann mit rötlichblondem Schnurrbart und einer Stirn, die weiß über seinem vollblütigen Gesicht leuchtete, wenn er die Dienstmütze abnahm. Ich bremste, als ich seiner ansichtig wurde, fuhr scharf rechts heran und hob zum Gruß zwei Finger an die Stirn.
»Servus, Herr Oberwachtmeister!«
»Ah, der Herr van Doorn... I hab’ mir doch glei’ denkt, daß Sie’s sein müssen, als ich Ihren alten Karrn g’sehn hab. Immer noch im Schuß, der alte Schleifer? Was hat er denn jetzt drauf?«
»Über hundertachtzigtausend...«
»Respekt vorm Dampfschiff!«
»Und was gibt es sonst Neues?«
»Oh mei’...«, murmelte er und steckte zwei Finger zwischen Hals und Kragen, »nix Erfreuliches. Sie werden’s eh schon gehört haben. Ssehr unangenehm... sssehr unangenehm...« Die S’ kamen zischend wie beim Entweichen von Luft aus einem undichten Fahrradventil zwischen seinen Goldzähnen hervor.
Ich holte meine Zigarrentasche heraus und bot sie ihm durchs offene Fenster an. Er sah sich um, bemerkte laut, daß er nicht mehr im Dienst sei, wählte lange und griff nach einer blonden Havanna. »Ich bin so frei«, sagte er und zog seinerseits ein braunes Lederetui aus der Brusttasche seiner Uniform und verwahrte meine Zigarre neben vier anderen, die in Format und Deckblatt alle verschieden waren: Offensichtlich lauter Freundschaftsgaben. Ich kletterte aus dem Wagen.
»Wie wäre es mit einer Halben, Herr Oberwachtmeister?«
»Ein schöner warmer Tag heute«, stellte er fest. »Ein Tag, der einen rechtschaffen durstig macht...«
»Was nützt der schönste Durst, wenn man Auto fahren muß? Ich werde mir nur ein kleines Helles leisten können.«
»Noch besser einen Sprudel. Auch ein kleines Bier gibt eine Fahne, und wenn Sie hinterher nur die geringste Karambolasch haben, woran Sie gar nicht schuld sein brauchen, dann haben Sie den Dreck im Schachterl. Schaun S’, das ist ja sozusagen Dienstvorschrift, daß man an jedem zuerst riechen muß...«
Wir bummelten nebeneinander zum »Botenwirt« durchs Dorf. Der Graßl Toni, dem die Spezereihandlung gehörte, grüßte mich durch die Schaufensterscheibe.
»Der hat sein’ Kragen auch mehr draußen als im Geschäft, der alte Ratscher«, knurrte Herr Veitl mir zu.
In der Gaststube vom »Botenwirt« waren wir um diese Stunde die einzigen Gäste. Die Kellnerin, die auf der Ofenbank saß und an einem feuerroten Pullover arbeitete, legte ihr Strickzeug beiseite und begrüßte mich, während Veitl Koppel und Mütze an einen Haken hängte, als alten Gast mit besonderer Herzlichkeit. Daß sie mich hartnäckig als Baron titulierte, lag an dem niederrheinischen »van« vor meinem Namen. Fast das ganze Dorf nannte mich »Herr Baron«, und nach jahrelangen Versuchen, die Sache richtigzustellen, war ich es leid geworden, tauben Ohren immer von neuem die Erklärung abzugeben, daß mir ein Adelsprädikat nicht zustände. Wahrscheinlich imponierte den Leuten die Bekanntschaft mit einem blaublütigen Baron bedeutend mehr als mit einem simplen Bürger. Ich bestellte für Veitl ein Helles und einen Steinhäger und für mich ein Glas Orangeade, obwohl mir ein Glas Märzen viel besser geschmeckt hätte. Aber so direkt unter dem Auge des Gesetzes hatte ich Hemmungen und sparte mir den
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