Der Tod des Zauberers
die Luft mit einem zischenden Geräusch durch die Zähne und beugte sich vor; es war, als gäbe er mir die Vorstellung einer japanischen Begrüßungszermonie.
»Einen wildfremden Menschen?« murmelte er. »Woher wissen Sie das?«
Ich starrte ihn an. »Wollen Sie behaupten, daß Victoria Textor Manueli gekannt hat?«
»Durchaus nicht!« antwortete er rasch und geschmeidig, aber ich hatte einen Stachel in der Haut sitzen, den ich nicht mehr los wurde. Was wurde hier gespielt? Was für Wolken zogen sich über Pertach und dem Georgischlößl zusammen?
»Nein, lieber Freund«, rief Wildermuth ein wenig übereifrig, »ich verdächtige Frau Textor nicht des Mordes — oder nicht mehr, als ich jeden Menschen zu verdächtigen gezwungen bin, dessen Spur zum Tatort führt. Das gehört zur Routine meines Berufes.«
»Ich verstehe, Sie spielen auf die Aussage der Witwe Empfenzeder an, die den Textorschen Wagen nachts in der Nähe des >Botenwirt< gesehen haben will. Eine Frau von fast achtzig Jahren und seit Ewigkeiten halb taub.«
»Aber nicht blind!«
»Nun, Frau Textor bestreitet mit aller Entschiedenheit, den Wagen in der fraglichen Nacht benutzt zu haben, und ihre Tochter Johanna, Hansi genannt, und die Köchin Sofie sind bereit, zu beeiden, daß sie das Haus tatsächlich nicht verlassen habe. Selbst wenn Sie die Aussage von Hansi Textor nicht gelten lassen wollen, dann steht noch immer mit der Aussage der Köchin Sofie Erklärung gegen Erklärung.«
»Gewiß«, gab er zu, »die alte Frau Empfenzeder ist vielleicht nicht gerade eine ideale Zeugin. Und um auch das noch zu sagen: selbst, wenn Frau Textor den Wagen benutzt haben und in Achenreuth gewesen sein sollte, so wäre diese Tatsache noch lange kein schlüssiger Beweis dafür, daß sie etwas mit der Tat zu tun hat.«
»Ich verstehe Sie nicht. Weshalb auf einmal diese Wendung um hundertachtzig Grad?«
Er schlug ein Bein über das andere und umspannte das Knie mit beiden Händen. »Lieber van Doorn, Sie werden mir eine gewisse Berufserfahrung und Menschenkenntnis nicht absprechen wollen...«
»Aber ganz gewiß nicht!«
»Nun, mein Eindruck, den ich von Frau Textor empfing, war der einer namenlosen, ich möchte sagen, panischen Angst.«
»Wovor?« Er schnellte die Frage auf mich ab wie eine Erbse aus der Schleuder. »Nehmen wir einmal an, sie hätte die Tat nicht begangen — was mich natürlich nicht der Verpflichtung enthebt, den Verdacht aufrechtzuerhalten und nach den Motiven zu forschen, derentwegen sie die Schüsse auf Manueli abgegeben haben könnte. Nehmen wir also einmal an, daß sie in der Mordnacht, vielleicht sogar zur Stunde der Tat in Achenreuth war...«
Ich griff mir an den Kopf.
»Aha«, sagte er leicht belustigt, »dämmert Ihnen etwas? Dämmert Ihnen vielleicht sogar die merkwürdige Rolle, die Sie selber in der Geschichte unter Umständen spielen?«
»Verwirren Sie mich nicht mit Nebengedanken! Was soll ich damit zu tun haben?«
»Nun, ich nehme doch an, daß Frau Textor eine eifrige Leserin Ihrer Bücher ist, nicht wahr?«
»In Pertach sind die Abende lang.«
»Ihre Bescheidenheit ehrt Sie«, grinste er. »Wäre es nicht durchaus möglich, daß Frau Textor durch die Lektüre Ihrer Bücher, in denen Sie ja wenigstens einen Annäherungswert an die Realität und Methode polizeilicher Untersuchungen erstreben, furchtsam geworden ist? Sie kennt die Maschinerie, von der ich selber ein Teil bin und die, ich gebe es ohne weiteres zu, nach dem Prinzip von Gottes Mühlen arbeitet: langsam, aber furchtbar fein. Einmal hineingeraten, kostet es unendliche Anstrengungen, sich daraus zu befreien.«
Ich sah ihn zweifelnd und ein wenig unsicher an, denn es war mir nicht ganz klar, worauf er hinauswollte.
»Ich gebe zu«, sagte ich zögernd, »daß ein Mensch, der schuldlos ist, Furcht davor hat, in die Maschinerie des Gesetzes zu geraten. Mir ginge es selber so. Aber ich bezweifle stark, daß das die panische Angst rechtfertigt, die Sie bei Victoria Textor beobachtet haben wollen.«
»Die Sie selber nicht bemerkt haben?« fragte er.
»Nein«, antwortete ich laut, »ich fand sie nur durch das Unglück ihres Mannes verstört und von Zukunftssorgen belastet.«
»Machen Sie mir nichts vor«, sagte er ruhig. »Sie können mich nicht täuschen! Sie haben diese Angst genauso wie ich bemerkt. Und nun lassen Sie uns gemeinsam nach dem Grund für das beklemmende Angstgefühl suchen, das Ihre Freundin Victoria Textor bedrückt. Rufen Sie Ihre in hundert
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