Der Tod des Zauberers
den Anblick des Wunders. Wer ihn nicht kannte, hätte leicht in die Versuchung geraten können, ihn für ein wenig trottelhaft zu halten: Ein Froschgesicht unter einem hohen Turmschädel, dessen schütter flockiges Haar die rötlichgelbe Farbe von Anthrazitasche hatte. Sogar die Augen waren echte Froschaugen, sie quollen aus den dünnhäutigen Lidern hervor und waren nußbraun mit goldenen Einsprengseln. Um die Ähnlichkeit nicht allzudeutlich zu machen und ihn nicht zu beleidigen, hatte ich in meinem ersten Roman, in dem er die Rolle des Detektivs ten Gracht spielte, aus dem Frosch- ein Pekinesengesicht gemacht, immerhin eine Hunderasse von uraltem Adel und kaiserlichem Geblüt. Wildermuth hatte sich natürlich sofort erkannt — er las zur Entspannung und Unterhaltung vorzugsweise Kriminalromane und amüsierte sich als Fachmann köstlich darüber — und hatte mein Porträt mit vier Worten korrigiert: »Pekinese stimmt nicht — Frosch.« Er war nicht eitel, und er war, was ihn bei seinem Aussehen zu einer bemerkenswerten Persönlichkeit machte, heiter und ohne Hemmungen oder Komplexe. Aber nach der Berichtigung hatte er hinzugefügt, es wäre ihm doch lieber, wenn ich in künftigen Romanen wenigstens in den Äußerlichkeiten etwas weniger deutlich würde, und ich hatte mich diesem Wunsch selbstverständlich gefügt. Er lebte mit einer reizenden Frau in harmonischer Ehe und hatte zwei Söhne, denen er zu ihrem Glück seine geistigen Vorzüge ohne den Turmschädel vererbt hatte.
Eine Weile saßen wir in der üppigen Tropenlandschaft schweigend nebeneinander, dann fragte er, ob ich etwas Neues in der Maschine hätte; ich tat, als ob mir die Arbeit glänzend gediehe, und erzählte ihm in kurzen Zügen von dem Stoff und dem Hauptproblem darin, das darin bestand, daß ein Mann, durch Krankheit ans Bett gefesselt, von seiner Frau betrogen zu werden glaubt und sich den Tod des vermeintlichen Liebhabers so inbrünstig wünscht, daß er in dem Augenblick, in dem dieser Nebenbuhler tatsächlich getötet wird, fest davon überzeugt ist, wenn nicht der Täter, so doch zum mindesten der geistige Urheber und Verantwortliche für diesen Mord zu sein. Das Motiv war nicht ganz neu, Meyrink hatte es in seinem Golem bereits gestreift, aber wer findet schon ein absolut originelles Thema? Mir kam es bei diesem Stoff auch nur darauf an, aus dem vermeintlichen Schuldgefühl heraus einen spannenden Vorwand für die Jagd meines Carolus ten Gracht nach dem wahren Täter zu konstruieren.
Wildermuth sah mich mit einem eigentümlichen Blick von der Seite an.
»Sagen Sie, mein Lieber«, murmelte er und schnüffelte ein wenig, als überwögen plötzlich üble Düfte den Vanillegeruch der Orchideen, »sind Sie etwa durch den Unfall Ihres Freundes Textor auf diesen Stoff gekommen?«
Ich prallte ein wenig zurück. »Ich hoffe, daß Sie mir diese Geschmacklosigkeit nicht im Ernst Zutrauen. Nein, nein! Ich habe das erste Blatt des Romans vor einem guten Vierteljahr in die Maschine gespannt.« Aber ich wußte auf einmal, weshalb mich der Stoff nicht mehr ansprach und weshalb der Ton, den ich formte, unter den Händen so zäh und klebrig geworden war. Zwischen dem Unfall Stephan Textors und der Ausgangssituation meines Romans bewußt eine Parallele zu ziehen, war mir nicht im Traum eingefallen.
»Ich traue euch Schriftstellern im allgemeinen nicht über den Weg«, knurrte Wildermuth. »Schamhaftigkeit, Delikatesse und Diskretion werden in eurem Vokabularium ziemlich klein geschrieben. Dafür habe ich genug Belege. Aber in Ihrem Falle will ich Ihnen glauben. Wie geht es übrigens Ihrem Freund Stephan Textor?«
»Besser, als es zu Anfang aussah; aber er ist leider noch nicht soweit wiederhergestellt, um Besuche empfangen zu können. Ich rufe die Klinik regelmäßig an, um mich nach seinem Befinden zu erkundigen, und besuche auch ab und zu Frau Victoria Textor und die Kinder auf Pertach.«
Er zog, was zu seinen Gewohnheiten gehörte und ihn wahrhaftig nicht schöner machte, die Lippen über das Zahnfleisch und entblößte sein kräftiges, weißes Gebiß: »Ich war gestern in Altenbruck bei Staatsanwalt Lebedur und besuchte auf dem Heimweg den >Botenwirt< in Achenreuth. Ich stattete bei dieser Gelegenheit auch Frau Textor auf Pertach einen kurzen Besuch ab, um ihr mein Beileid zu dem bedauerlichen Unfall ihres Gatten auszusprechen. Ich habe das Georgischlößl nach Ihren Erzählungen genau wiedererkannt und muß gestehen, daß Sie in keiner Hinsicht
Weitere Kostenlose Bücher