Der Tod fährt Riesenrad - Kneifl, E: Tod fährt Riesenrad
Ringelspiel zum ersten Mal auf ein hölzernes Pferderl gesetzt. Später hat ihr Vater ihr das Reiten richtig beigebracht …“
„Na, na, gib nicht so an“, unterbrach der Rumpfmensch sie.
Mathilde beugte sich zu dem kleinen Mann hinab, ihr ausladender Busen nahm fast die halbe Theke ein, und zielte mit der Gewehrmündung auf seinen Oberkörper: „Willst den Rest auch noch loswerden, du Missgeburt?“
„Baron von Leiden hat ihr das Reiten beigebracht?“, fragte Gustav scheinheilig. Inzwischen wusste er ja, dass der Baron nicht Leonies leiblicher Vater war.
„Der alte Drecksack konnte sich ja kaum mehr selbst im Sattel halten“, kreischte Mathilde. „Na, der Freddy hat sie schon auf die Rennbahn mitgenommen, da hat sie kaum reden können.“
„Sei still, du altes Waschweib!“, schnauzte der Rumpfmensch sie an.
„Welcher Freddy?“, fragte Gustav rasch.
„Na unser Freddy halt. Der Mars.“
„Der Jockey?“
„Wer denn sonst? Freddy ist genauso ratlos wie wir. Er hat auch keine Ahnung, wo seine Tochter ist. – Aber Unkraut verdirbt nicht, die Kleine ist mit allen Wassern gewaschen“, kicherte sie.
Gustav musste diese Nachricht erst einmal verdauen. Freddy Mars war, obwohl er bestimmt auf die Vierzig zuging, nach wie vor der beste Jockey Wiens. Er gewann nicht nur fast jedes Galopprennen in der Freudenau, sondern war auch auf internationalen Rennbahnen in England und Frankreich erfolgreich. Dieser grandiose Reiter war also der Liebhaber der Frau von Leiden gewesen.
„Der Freddy ist mindestens einen halben Kopf kleiner als die Baronin von Leiden.“ Kaum hatte Gustav diesen Satz ausgesprochen, bereute er ihn.
„Wo die Liebe eben hinfällt“, trällerte Mathilde. „Sind wir leicht eifersüchtig, Euer Gnaden?“
Zum Glück blieb ihm eine Antwort erspart, denn die dicke Mathilde widmete sich nun ihrer neuen Kundschaft: „Ein Röschen für die hübsche Dame, Herr Leutnant?“ Sie zwinkerte dem jungen Soldaten, der auf dem Stehkragen seiner Uniformjacke zwei mit Goldfäden gestickte Sterne hatte, und dem pummeligen, pausbäckigen Mädel an seiner Seite anzüglich zu.
Der Rumpfmensch redete weiter auf Gustav ein. Gustav hatte das Gefühl, dass der kleine Mann sich über ihn lustig machte, als er sich in Anekdoten über Leonies Kindheit erging und sich selbst dabei in glorreichem Lichte darstellte. Er ließ ihn stehen und machte sich auf den Weg zum Riesenrad, das sich majestätisch über all die Ringelspiele und Praterhütten erhob.
„Durri, durri, da bin i, der Salamutschi“, sang der italienische Salami- und Käseverkäufer mit hoher, lauter Stimme.
Gustavs Magen knurrte. Er hatte nicht gefrühstückt. Mittlerweile war es zwölf Uhr vorbei.
Während er noch überlegte, dem Salamutschi-Mann eine Salami oder ein Stück Käse abzukaufen, erblickte er den alten Salzstangenverkäufer mit den langen weißen Haaren und der langen weißen Schürze unter einem Kastanienbaum. Neben ihm in der prallen Sonne stand der mobile Würstelmann und bot lautstark „heiße Würstel, Brod und Gebäck“ an.
Gustav fiel die Entscheidung schwer. Alle drei Verkäufer bedrängten ihn, als sie bemerkten, dass er unschlüssig war. Schließlich entschied er sich für ein Salzstangerl und ein paar heiße Würstel.
„Alles herhören, meine Herrschaften! Die größte Attraktion Europas wartet auf Sie! Kommen Sie und staunen Sie! Das Riesenrad beginnt sich gleich zu drehen!“, schrie einer der Ausrufer.
Da Gustav die Eröffnung keinesfalls versäumen wollte, aß er die Würstel und das Salzstangerl im Gehen.
Ein rundlicher kleiner Mann in einem abgetragenen Frack und mit einem roten, schief hängenden Mascherl wünschte Gustav „Mahlzeit, der Herr“, schob seinen Stößer ins Genick und schaute hinauf zu dem mächtigen Rad.
„Wenn man in einer der Gondeln am höchsten Punkt angekommen ist, hat man sicher eine phantastische Aussicht auf die ganze Stadt.“
Gustav nickte mit vollem Mund.
„Diese Attraktion haben wir allein dem Gabor Steiner zu verdanken. Dabei hat er erst vor zwei Jahren ‚Venedig in Wien‘ eröffnet.“
„Die Wiener fadisieren sich halt rasch und verlangen ständig nach neuen Sensationen. Mit diesem Riesenspielzeug ist der Steiner jedenfalls voll auf der Höhe der Zeit. Etwas Vergleichbares gibt es nur in Paris, in London und in Blackpool“, warf Gustav leutselig ein.
„Und in Chicago“, belehrte ihn der Ausrufer. „Jetzt müssen S’ schaun, das S’ weiterkommen, Euer Gnaden. In
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