Der Tod fährt Riesenrad - Kneifl, E: Tod fährt Riesenrad
Kriegsministerium?“
Gustav lachte.
„Am liebsten würde ich ihn rauswerfen. Er ist nicht nur ein dummer Spießbürger, sondern auch ein leidenschaftlicher Antisemit. Dummheit gepaart mit Leidenschaft ist gefährlich!“
„Leider sind wir auf seine Miete angewiesen, oder? Wir hatten riesiges Glück, dass wir Opapas Dienstwohnung behalten durften. Wer hat schon so eine große Wohnung zu so niedrigem Mietzins? Aber unser neuer Untermieter ist sehr nett, oder magst du den auch nicht?“
„Der Edi ist ein lieber Kerl. Wusstest du, dass er Bierkutscher in der Brünner Brauerei war?“
Gustav nickte.
„Anscheinend hat er dort viel weniger verdient als bei uns. Obwohl ich mir nicht vorstellen kann, dass die Fiakerbesitzer ihre Kutscher anständig bezah-len.“
„Der Edi ist ein Phänomen, ein typischer Phlegmatiker und ein richtiger Naturbursche. Außerdem ist er mir jederzeit gefällig. Er bringt mich überallhin. Ich erspar mir dadurch viel Geld.“
„Ach deswegen ist er mir die Miete schuldig geblieben! Im Ernst, ich kann diesen Deutschnationalen nicht rauswerfen, weil er brav zahlt, im Gegensatz zu Edi.“
„Ihr müsst euch umziehen, wenn ihr pünktlich ins Konzert kommen wollt“, sagte Josefa und begann das Geschirr abzuwaschen.
Beide sprangen wie von der Tarantel gestochen auf und eilten in ihre Zimmer.
Eine halbe Stunde später ließen sie sich von Edi zum Musikverein chauffieren. Seine Tante sah ein, dass es von Vorteil war, einen Kutscher im Haus zu haben.
„Sieht richtig fesch aus, der Bursche.“ Die perfekte Adjustierung des jungen Kutschers schien ihr erst aufzufallen, als sie vor dem Musikverein ausstiegen.
Edi trug eine neue Pepitahose, einen schwarzen Samtrock mit Weste, ein leuchtend blaues Halstuch mit weißen Punkten und den unvermeidlichen Stößer, einen schmalrandigen Halbzylinder. Offensichtlich hatte er sich neu eingekleidet, anstatt die Miete zu bezahlen, dachte Gustav.
Zu Ehren des von ihr hochverehrten Gustav Mahler hatte sich Vera von Karoly ein neues Kleid machen lassen. Das dunkle Grün harmonierte wunderbar mit dem Graugrün ihrer Augen. Zur Feier des Tages trug sie den böhmischen Granatschmuck ihrer Großmutter, die einzigen Schmuckstücke, die sie nicht im Dorotheum versetzt hatte. Gustav war richtig stolz auf seine schöne Tante, als sie Arm in Arm durch den Gang zum „Goldenen Saal“ des Musikvereins schritten. Seine Tante hatte die Karten von einer ihrer wohlhabenden Freundinnen geschenkt bekommen. Sie hatten wunderbare Plätze in der achten Reihe Parterre.
Gustav Mahler war vor kurzem zum ersten Kapellmeister und Hofoperndirektor in Wien ernannt worden und dirigierte heute im Musikverein seine 2. Sinfonie c-Moll, die Auferstehungssinfonie.
„Mahler ist ein Purist. Ihm geht es allein um die Musik und nicht um das gesellschaftliche Spektakel. In seinen künstlerischen Ansprüchen ist er kompromisslos“, flüsterte Vera nach den ersten Takten.
Gustav freute sich über ihre Begeisterung. Da er weniger von Musik verstand als sie, ließ er während des Konzerts seine Blicke durch den Saal streifen. Sehr vornehmes Publikum und ein paar echte Musikliebhaber in den hinteren Reihen und auf dem Balkon, registrierte er.
Der große Saal des Musikvereins galt als einer der schönsten und akustisch besten Konzertsäle der Welt. Während Gustav auf das bombastische Deckengemälde in diesem von Theophil von Hansen erbauten Tempel der Musik starrte, dachte er an sein merkwürdiges Gespräch mit der schönen Zigeunerin. Diese Frau ging ihm nicht aus dem Sinn.
Plötzlich entdeckte er Margarete von Leiden in einer Loge. Auch sie schien ihn erspäht zu haben, winkte ihm verstohlen zu.
Sie war wie immer ganz in Schwarz gekleidet. Er fand, dass sie es mit der Zurschaustellung ihrer Trauer übertrieb. Ihr Mann war seit zwei Jahren tot, das Trauerjahr war also längst vorbei. Außerdem war sie eher eine lustige Witwe, wenn er dem Tratsch über sie Glauben schenken durfte.
Als er in der Pause den Rauchersalon aufsuchte, steckte ihm ein Lakai ein Briefchen zu.
„Muss Sie heute noch unbedingt sehen. Allein. Kommen Sie um 22 Uhr zum Eingang des Kursalons im Stadtpark. M.“
Seine Hände waren schweißnass, als er das Briefchen in seine Hosentasche steckte.
Nach der Pause sah er andauernd auf seine Taschenuhr und konnte es kaum mehr erwarten, dass Gustav Mahler das Dirigentenpult verließ. Als seine Tante nach dem Konzert vorschlug, noch in ein Restaurant auf der
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