Der Tod fährt Riesenrad - Kneifl, E: Tod fährt Riesenrad
Ausbildung bekamen. Gisela und Vera hatten bis zu ihrem achtzehnten Lebensjahr Hauslehrer gehabt.
Gustav und seine Tante feierten die wunderbare Nachricht mit einem opulenten Frühstück, das in ein noch opulenteres Mittagessen überging. Josefa verwöhnte sie mit einem g’schmackigen Schweinsbraten, böhmischen Knödeln und deftigem, mit viel Speck angebratenem Sauerkraut. Als Nachtisch servierte sie ihnen ihre himmlischen Buchteln. Sie leerten knapp eine Flasche Wein gemeinsam. Selbst die gute Josefa trank ein Schlückchen und stieß mit ihnen auf den Erfolg der Frauenrechtlerinnen an.
Gustav war nach dem vielen Essen fast schlecht. Er fragte sich, wie er mit Margarete nachmittags einen Walzer aufs Parkett legen sollte. Sein Atem stank nach Kraut und seine Blähungen machten sich lautstark bemerkbar.
Seine Tante wollte mit Dorothea zum Treffen des „Allgemeinen Österreichischen Frauenvereins“ gehen. Rosa Mayreder würde sprechen und anschließend würden diese radikalen Damen ihren Etappensieg in Sachen Universitätszugang gebührend feiern.
Gustav legte sich wieder aufs Ohr. Doch an Schlaf war bei dem Rumoren in seinem Bauch nicht zu denken. Er stand auf, nahm ein Abführmittel und stärkte sich gleichzeitig mit einem Gläschen Slibowitz.
„Josefa, ich brauche heißes Wasser. Muss mich waschen.“
Während sie einen großen Kessel auf den gusseisernen Ofen stellte, streckte er sich auf dem Diwan aus, rauchte eines von Tante Veras Zigarillos und versuchte, den grauenhaften Krautgeschmack in seinem Mund mit zwei weiteren Gläschen Slibowitz wegzukriegen.
Als Josefa mit hochrotem Gesicht in der Tür stand, nahm ihr Gustav den schweren Kessel ab und leerte das Wasser in die große, silbern eingefasste Glasschüssel in seinem Waschtisch.
„Soll ich dir den Rücken schrubben?“
„Nein danke, Josefa. Aber du kannst mir ein frisches Hemd rauslegen. Obwohl, ich weiß noch nicht, was ich anziehen werde.“
„Wohin gehen S’ denn?“ Seit seiner Rückkehr vom Militär schwankte die gute Haut zwischen „Du“ und „Sie“, obwohl Gustav ihr hundertmal gesagt hatte, dass sie ihn duzen solle.
Sobald sie sein Zimmer verlassen hatte, reinigte er sich gründlich. Dann riss er einige Anzüge aus dem Kleiderschrank und warf sie aufs Bett. Schließlich entschied er sich für einen hellgrauen Anzug aus Rohseide. Die Wahl einer passenden Krawatte bereitete ihm erneut Schwierigkeiten. Er griff nach einer dunkelblauen, bekam den Knoten nicht hin. Seine Hände zitterten. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als das Zittern mit einem weiteren Schnäpschen in den Griff zu bekommen.
Edi hatte leider eine andere Fuhr. Es dauerte eine ganze Weile, bis Gustav auf der Lastenstraße eine freie Droschke fand. Diese neue breite Straße vor den Hofstallungen hatte man zur Entlastung der Ringstraße für den Fuhrverkehr gebaut. Wie immer waren unzählige Fuhrwerke unterwegs. Kaum war der Kutscher mit lautem Peitschengeknalle losgefahren, musste er das Gefährt wieder anhalten.
Gustav sah auf seine Taschenuhr. Ein kleiner, aufmunternder Mocca im Café Schwarzenberg würde sich vor seinem Treffen mit Margarete von Leiden locker ausgehen, wenn dieser verdammte Kerl ein bisschen schneller fahren würde. Doch sie hielten erneut an. Unwirsch beugte sich Gustav aus dem offenen Fenster.
„Seine Majestät!“, rief der Kutscher ehrfürchtig.
Sie standen genau an der Kreuzung zur Mariahilfer Straße. Hier fuhr täglich zweimal der Kaiser in seiner Kutsche durch. Morgens von Schönbrunn zu den Regierungsgeschäften in die Hofburg und am Abend wieder zurück. Tag für Tag winkten die Schaulustigen am Straßenrand dem alten Herrscher zu und stellten ihre Uhren nach ihm, denn Seine Majestät war die Pünktlichkeit in Person. Heute am Sonntag fuhr er zu ungewohnter Stunde vorbei. Alle Fiaker und Fuhrwerke hielten an und ließen das kaiserliche Gespann passieren. Gustavs Kutscher erhob sich vom Kutschbock, lüftete seinen Halbzylinder und verbeugte sich tief.
Gustav bewegte sich nicht. Für den Kaiser Franz Joseph hatte er nicht viel übrig. Wenn die schöne Kaiserin Sisi vorbeigefahren wäre, hätte er sich sicher aus dem Fenster gelehnt und ihr zugewunken.
Bis zur Baustelle des neuen Sezessionsgebäudes, das der berühmte Architekt Joseph Maria Olbrich als Ausstellungsgebäude für zeitgenössische Kunst errichtete, kam seine Droschke nur im Schritttempo vorwärts. Danach ging es recht flott weiter bis zum Schwarzenbergplatz.
Im
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