Der Tod fährt Riesenrad - Kneifl, E: Tod fährt Riesenrad
Kärntnerstraße zu gehen, bedauerte er.
„Muss noch jemanden treffen …, bin ver… verabredet.“
Sie ließ sich ihre Enttäuschung nicht anmerken, sah ihn nur verwundert an, fragte aber nicht nach, sondern nahm eine Droschke nach Hause.
Gustav näherte sich der Treppe des Kursalons. Unter einer Gaslaterne zündete er sich eine Zigarette an und lauschte den Walzerklängen von Johann Strauss.
Als ihre wohlgeformte Gestalt zwischen den blühenden Holunderbüschen neben der Treppe auftauchte, umarmte er sie stürmisch und raubte ihr einen Kuss.
„Nicht hier!“ Er spürte ihren Herzschlag an seiner Brust. Sie zog ihn schnell hinter die Büsche. „Sie kommen zu spät. Ich warte schon seit ein paar Minuten auf Sie! Mein Vater hat einen Erpresserbrief bekommen. Er soll fünfzigtausend Kronen bezahlen, sonst werden wir Leonie nicht mehr lebend wiedersehen. Keine Polizei, keine Presse!, schrieb dieser Verbrecher. – Sie müssen Ihre Nachforschungen sofort einstellen. Behalten Sie die Anzahlung und verrechnen Sie mir Ihre Spesen für die letzten Tage. Oder nein, erledigen wir das Finanzielle lieber gleich …“ Sie kramte in ihrem Beutel. „Hier haben Sie hundert Kronen, das müsste all Ihre Unkosten decken.“
Gustav zögerte, die Zwanzig-Kronen-Scheine, die sie ihm hinstreckte, anzunehmen. Dachte an seine prekäre finanzielle Lage und nahm sie doch. Stopfte sie achtlos in seine Hosentasche.
„Haben Sie den Erpresserbrief dabei?“
„Wo denken Sie hin! Den hat natürlich mein Vater behalten. – Glauben Sie mir etwa nicht?“
„Aber ja. Ich hätte den Brief halt gern gesehen. Wurde er mit der Hand geschrieben? Ich könnte alle Verdächtigen um Schriftproben bitten …“
„Ich muss gehen, bevor meine Abwesenheit jemandem auffällt. Wir dinieren drinnen mit Freunden.“
„Wir müssen uns unbedingt wiedersehen. Sagen Sie mir nur, wo und wann. Ich komme überallhin.“
„Das ist unmöglich!“
„Ein allerletztes Mal!“
Sie bat ihn noch einmal, die ganze Geschichte zu vergessen, gab aber schließlich nach.
„Wir könnten uns morgen nachmittags in ‚Venedig in Wien‘ treffen. Zum Beispiel in Tommasonis Bar?“
„Ich mag diese Kulissenstadt nicht.“
„Wir könnten auch in eines der großen Kaffeehäuser in der Prater-Hauptallee gehen.“
„Im Dritten Kaffeehaus kennen mich zu viele Leute.“
„Wie wäre es mit dem Zweiten?“
Sie rauschte davon.
„Um sechzehn Uhr?“, rief Gustav ihr nach.
Auf dem Heimweg dachte er über das kurze Gespräch nach. Der Erpresserbrief ließ keine Zweifel an einer Entführung mehr zu. Er hoffte, sie würde den Brief zu ihrem morgigen Rendezvous mitbringen. Merkwürdig, dass eine Frau wie Margarete von Leiden die besondere Affinität der Wiener zu der romantischen Lagunenstadt nicht teilt, dachte er. Seit vielen Jahren richteten sich die Träume und Sehnsüchte der Wiener auf Venedig. Gabor Steiner hatte mit der Errichtung von „Venedig in Wien“ im Kaisergarten vor zwei Jahren einen Riesenerfolg gehabt. Dieser erste Themenpark der Welt begeisterte nicht nur die Presse, den Adel und das Bürgertum, sondern auch die Massen. Das vielseitige Unterhaltungsetablissement hatte für jeden etwas zu bieten: Palazzi und Palmen an künstlich angelegten Kanälen, Gondelfahrten auf dem Canal Grande, Serenaden, Straßensänger, Verkaufsbuden und Andenkenläden, Cafés, Restaurants, Champagnerpavillons, eine Operettenbühne und einen Veranstaltungssaal mit zweitausend Sitzplätzen. Um das Publikum bei der Stange zu halten, wechselten die Programme ständig. Gustav hatte dort fast alles gesehen: Stierkämpfe, Damenboxen, Raubtierdressuren, japanische Ringkämpfe … Wirklich schade, dass Margarete keine Lust auf solche Art von Vergnügungen hat. Andererseits war es vielleicht gar keine so schlechte Idee, mit ihr in eines der großen Kaffeehäuser auf der Hauptallee zu gehen. Denn dort spielten täglich wunderbare Kapellen und jedermann tanzte zu den süßesten Walzerklängen. Er malte sich bereits aus, wie sich Margarete in seinen Armen im Dreivierteltakt drehte, als ihm einfiel, dass sie sich womöglich gerade jetzt auf der Terrasse des Kursalon Hübner in den Armen eines anderen Kavaliers zu den Klängen eines Walzers von Johann Strauss wiegte. Sogleich verschlechterte sich seine Laune.
Die letzten Tage waren alle gleich heiß und schwül gewesen. Auch heute Abend war es extrem schwül. Fast wünschte er ein Gewitter herbei, damit Margarete die Lust aufs Tanzen
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