Der Tod fährt Riesenrad - Kneifl, E: Tod fährt Riesenrad
Leute zu überreden versuchten, ihr Geld in den diversen Buden zu lassen, das schreckliche Getöse und die laute Musik machten Gustav halb wahnsinnig. Er begann zu laufen, rempelte ein paar Gymnasiasten an, entschuldigte sich nicht, sondern rannte weiter, als würde ihn eine Meute wilder Hunde hetzen. Kalter Schweiß lief ihm über die Wangen. Er keuchte wie ein Asthmatiker, sein Puls klopfte ihm bis zum Hals und das Sausen in seinen Ohren schwoll an, übertönte den unerträglichen Krach. Bei einem stillstehenden Karussell machte er Halt. Prächtige Galakarossen, prunkvoll gezäumte Holzpferdchen, venezianische Gondeln und kleine Eisenbahnwaggons wurden von einer Lokomotive im Kleinformat angeführt.
Als auch hier das Werkel zu spielen und das Ringelspiel sich zu drehen begann, stürzte er davon. Ein mageres Bürscherl in einem abgerissenen Anzug schnorrte ihn um eine Zigarette an. Gustav reichte der traurigen Gestalt sein silbernes Etui. Ehe er sich versah, schnappte der Bursche danach. Doch Gustavs Reaktionsvermögen war, trotz seines Alkoholpegels, in Ordnung. Er entriss dem frechen Kerl das Etui und drohte ihm: „Wenn du nicht gleich verschwindest, ruf ich einen Wachmann herbei.“
Der Fallot machte sich rasch aus dem Staub.
Gustav versuchte, sich mit einer Zigarette zu beruhigen. Aus der Ferne ertönten flotte Polka-Klänge. Er folgte der Musik und bewunderte die anmutigen jungen Musikerinnen einer Damenkapelle, die im Ersten Kaffeehaus aufspielten. Ein fescher Dragoner schnappte sich eine resche Nähmamsell, die Gustav kannte, weil sie manchmal für seine Tante arbeitete, und zog sie aufs Parkett. Seine Kameraden von der Kavallerie folgten ihm nicht minder forsch mit ebenso hübschen Ladenfräuleins, Probiermamsells oder Putzmacher-innen.
Er wollte gerade weitergehen, als die Damen einen feurigen Czárdás intonierten. Ihm war bewusst, dass er viel zu spät dran war, er würde es niemals schaffen, rechtzeitig zu seinem Rendezvous zu kommen, trotzdem blieb er noch eine Weile stehen und schaute den Soldaten und den Mädchen, die ihre Beine hoch in die Luft schwangen, zu.
Die Sonne spiegelte sich in den gelblich getönten Gaslampen und blendete ihn. Auf einmal sah er die römisch anmutenden Statuen im Gastgarten doppelt.
Die Tische im Freien unter den jungen Birken waren alle besetzt. Gustav ließ seinen Blick über die Frauen an den Tischen schweifen und bewunderte ihre Freizügigkeit, denn die meisten trugen tief dekolletierte Blusen oder weit ausgeschnittene Kleider. Keine Margarete weit und breit.
Das Erste Kaffeehaus kam ihm ein bisschen heruntergekommen vor. Es ähnelt mehr einer Bierhalle als einem Café, dachte er beim Anblick all der großen Bierkrüge auf den Tischen. Die nicht sehr feinen Gäste schienen sich jedoch prächtig zu amüsieren.
12
Das Zweite Kaffeehaus war größer und luxuriöser ausgestattet als das Erste. Die Erfrischungen wurden auf silbernen oder vergoldeten Tabletts serviert und sowohl die Gäste als auch die Kellner wirkten eleganter.
Auf der großen Bühne spielte ebenfalls ein Damenorchester. Gustav war erneut hingerissen von den ganz in unschuldiges Weiß gekleideten Mädchen. Mit ihren strengen Frisuren und in ihren hochgeschlossenen Kleidern sahen sie aus wie frisch aus einem Mädchenpensionat entsprungen. Heute ist eindeutig Tag der Frauen, dachte er belustigt und kaufte einem Blumenmädchen ein Veilchensträußchen ab.
Die Kapellmeisterin spielte gerade ein Geigensolo, die jungen Damen begleiteten sie im Pianissimo, als Gustav den Gastgarten betrat.
Die Hauptallee bis zum Lusthaus war das Zentrum des Nobelpraters. Hier promenierte man oder fuhr in Zwei- oder Vierspännern, um zu sehen und gesehen zu werden. Es war der Laufsteg des Adels und mittlerweile auch der des reichen, gehobenen Bürgertums. Betörende Rosendüfte und zarter Veilchengeruch verwöhnten seine Nase. Und so manches Mal berührte ein Stück Stoff sein Bein.
In Jugendjahren hatte sogar Johann Strauss Sohn im Zweiten Kaffeehaus auf der Musikbühne gastiert. Im letzten Frühjahr hatte Gustav einige Bälle hier besucht und mit der einen oder anderen Schönen im Pavillon dem Konzert einer Militärkapelle gelauscht.
Margarete von Leiden saß allein an einem Tisch unter einem Kastanienbaum und versuchte, die Aufmerksamkeit des Marqueur zu erregen. Ihr Retikül lag griffbereit vor ihr.
Gustav, der sich um eine halbe Stunde verspätet hatte, blieb halb verborgen hinter einem abgeblühten Fliederbusch
Weitere Kostenlose Bücher