Der Tod hat eine Anhängerkupplung: Ein Campingkrimi (German Edition)
trotzdem suchte Lothar weiter erfolgreich nach Zahlenschildern.
Der Wind kam von See. Ich war sehr froh, dass wir nicht rechts abbiegen mussten, in Richtung 3 auf den Veersedam nach Kamperland. Da hätte uns der Wind schwer zu schaffen gemacht. Wir fuhren durch den Ort, den Koningin Emmaweg entlang Richtung Noordkapelle zum Zeerover . Mit dem Fahrrad konnten wir durch den Dünengürtel de Mantelinge bis zum Deich fahren. Es war mittlerweile später Spätnachmittag geworden, viele Strandbesucher hatten schon den Weg ins heimische Ferienhaus angetreten, deshalb fanden sich viele freie Fahrradständer ganz nah am Deich.
Sarah, Tobi, Tristan und Edda liefen sofort zum Wasser. Lothar und Gaby suchten wohl schon nach einem Tisch auf der Terrasse des Zeerover , ich blieb auf dem Deich stehen.
Es war etwas passiert! Der Urlaub hier an der Küste würde nie mehr so sein, wie er in den Jahren zuvor gewesen war. Aber hier auf dem Deich hatte das Meer nichts von seiner Faszination eingebüßt. Ich atmete tief ein und pumpte mir die Seeluft in die Lunge.
Anne trat zu mir und hakte sich bei mir ein: »Na, Frikandel speciaal, frites Mayo ?«
»Und ein Grimbergen . Komm!«
»Eigentlich wollte ich heute kochen.« Anne seufzte.
Die Terrasse des Zeerover ist durch Glasscheiben gegen den Wind geschützt. Die Speisekarte ist eine Offenbarung für Hollandurlauber. Hier bekommt man alles, was die Friteuse hergibt. Bitterballen , Fleischkroketten, aber auch guten Fisch: die kleinen Seezungen, Sliptongetjes, mit Pommes und Remouladensauce, das Ganze natürlich komplett ohne Vitamine und Spurenelemente, aber das macht ja nichts! Und morgen, da würden wir selber in der Küche stehen, ganz gesundes Essen würde es geben! Wir würden Ballaststoffe kochen.
Über dem Horizont lag eine Dunstschicht. Der Sonnenuntergang war nicht perfekt, aber das hätte er an diesem Tag auch nicht sein dürfen, und morgen kam ja ein neuer.
22
Wenn die Sonne im Westen den Horizont berührt, erklingt im Zeerover Musik. Aus den viel zu billigen Lautsprechern zirpt Once Upon a Time in the West von Ennio Morricone. Sobald die Wasserlinie zur Tangente des großen orangefarbenen Balls wird, setzen die Streicher ein. Der letzte Ton verklingt ganz genau dann, wenn der letzte kleine Lichtpunkt hinterm Horizont versinkt. Ein paar Minuten später wird es dunkel. Menschen besteigen ihr fiets , Pärchen verlassen den Zeerover Arm in Arm, Eltern ziehen Bollerwagen mit Kindern hinter sich her. Fast alle haben die Lippen gespitzt und pfeifen Once Upon a Time in the West .
An diesem Tag lag wie so oft ein Dunststreifen über dem Horizont. Weil der exakte Zeitpunkt des Sonnenuntergangs nicht zu bestimmen war, würde es im Zeerover wohl keine Musik geben.
Piet van Houvenkamp war das egal. Er saß auf der Pier in Westkapelle. Es war eine mächtige Pier, die da ins Meer gebaut worden war, und es gehörte wohl einiges Gottvertrauen dazu, sie gerade hier in den Meeresboden zu schlagen – gerade hier, wo die Nordsee unerbittlich war.
Westkapelle war einst von Dünen gegen die See geschützt gewesen. Die Fischerei hatte Wohlstand gebracht, und man hatte die große, dreischiffige Sint Willibrorduskerk gebaut. Aber das Meer hatte den Dünengürtel zurückerobert. Die Fischer waren weiter nach Vlissingen gezogen, die einstige Fischereihochburg war verarmt, die Kirche bis auf die Grundfeste niedergebrannt. Nur ihr Turm war trotzig stehen geblieben.
Die Menschen in Westkapelle hatten gelernt, dem Meer zu trotzen. Sie ersetzten die Dünen durch Deiche. Aus dem Kirchturm war das berühmte Leuchtfeuer geworden, ein sechsundfünfzig Meter hohes Mahnmal des Überlebens. Und sie hatten die Pier ins Meer gebaut, so als hätten sie ihm zeigen wollen, dass sie den Kampf niemals aufgeben würden. Piet mochte die Menschen in Westkapelle.
Tagsüber war dieser riesige Holzsteg von Anglern bevölkert, oder auch übervölkert, wenn man Piet fragte. Am Campingplatz in Westkapelle gab es einen Angelladen, der auch Köder anbot. Frische Würmer, gerade eben aus dem Watt gezogen. Und der Verkäufer in diesem Angelladen empfahl die Pier in Westkapelle als das beste Angelterrain für Hornhechte und Heringe in den gesamten Niederlanden. Wahrscheinlich hoffte er, dass die Kunden wegen der räumlichen Nähe zu seinem Laden bald wiederkamen, wenn diese hundsgemeinen Fische wieder den Köder vom Haken gekaut hatten, ohne sich daran aufzuhängen.
Es dämmerte. Die Pier war nun
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