Der Tod hat eine Anhängerkupplung: Ein Campingkrimi (German Edition)
verliebt sich in ihn.«
»Schön!«
Sie blickte mich fragend an. »Soll ich weitererzählen?«
»Nö, ich kann’s ja lesen. … Aber ich weiß nicht genau, ob ich in diesem Urlaub etwas von Frauen lesen will, die ihre Freunde mit Steakmessern umbringen.«
»Gut, dann nicht.«
»Wie spät ist es?«
»Moment.« Wieder legte sie ihren Mittelfinger zwischen die Seiten und klappte das Buch zu. »Zwanzig nach drei.«
Fünfzehn Uhr zwanzig. Tour de France, überlegte ich. Heute ging es auf den Col de la Madeleine! »Ich geh mal schauen, ob Barry einen Fernseher hat.«
Anne nickte, sie war schon wieder mitten im Text. »Tu das, Schatz.«
Irgendwie beschlich mich das Gefühl, dass es sie nicht sehr störte, wenn ich sie jetzt einfach lesen ließ. Es war ein Nachmittag, den man wirklich nur dann aushalten kann, wenn man ein Meer in der Nähe hat. Ich ging zu Edda und Tristan ans Wasser, um mich auch ein bisschen abzukühlen. Walcheren, das hatte ich mal gelesen, hat deshalb dieses außergewöhnliche Mikroklima mit den besonders vielen Sonnenstunden, weil der Golfstrom ungefähr bei Zoutelande auf die Küste knallt. Weil da plötzlich eine Küste ist, bleibt dem Golfstrom nichts anderes übrig, als nach links abzubiegen, dann stromert er weiter Richtung Westkapelle, dann um die Ecke und von dort aus weiter in Richtung Norden. Das hatte ich gelesen. Und der Golfstrom heißt ja Golfstrom, das hatte ich nicht irgendwo gelesen, das hatte ich in der Schule gelernt, weil er im Golf von Mexiko die ganze Wärme tankt, die er dann quer über den Atlantik an die Küste der Niederlande transportiert.
Jetzt allerdings stand ich bis zum Bauchnabel in dieser Nordsee, und ich lernte, wie sinnlos Schulwissen ist. Der Golfstrom schien irgendwo bei Grönland zu entspringen und von dort aus Wassermassen polaren Ursprungs an den Strand von Noordkapelle zu schieben.
Es war ein heißer Tag, aber die Nordsee war einfach zu erfrischend. Länger als zwanzig Sekunden dauerte mein Bad nicht. »Will einer von euch mit zu Barry? Vielleicht läuft da die Tour de France?«
Es war eine rein rhetorische Frage, aber Tristan hatte eine Idee, wie er von meiner passiven Radsportbegeisterung profitieren konnte: »Bringst du uns ein Eis mit?«
»Ja klar.«
Mir fiel mein alter Erdkundelehrer, Herr Hering, wieder ein, der hatte uns mal sehr anschaulich erklärt, dass sich das Land schneller aufheizt als das Meer, so anschaulich, dass ich es bis heute nicht vergessen habe. Er sagte: »Stellt euch mal vor, ihr legt einen großen Stein in die Sonne und stellt einen Topf mit Wasser daneben. Wenn ihr dann nach ein paar Stunden auf den Stein tretet, dann seid ihr aber verdammt froh, wenn ihr den Fuß schnell in dem Eimer Wasser kühlen könnt.«
Dummerweise fiel mir mein alter Erdkundelehrer zu spät wieder ein. Denn ich war schon auf dem Weg zu Barry in den Strandpaviljoen , um ein bisschen Tour de France zu gucken und um ein paar Eis zu kaufen. Meine Schuhe lagen friedlich neben Anne im halben Iglu-Zelt und störten sie nicht beim Lesen. Und ich dachte, der nasse Sand ist doch gar nicht so heiß.
Richtig! Aber ein paar Meter vom Ufer entfernt wurde der Sand trocken und verdammt heiß. Als mir der Erdkundelehrer wieder einfiel, war ich genau auf der Hälfte zwischen Meer und Barry angekommen. Es gab nur eine Chance. Ich durfte die Füße nur ganz kurz aufsetzen und musste mich in hohen Sprüngen vorwärtsbewegen, wie eine Gazelle in der afrikanischen Steppe, wenn der Gepard hinter ihr her ist, sodass die Haut unter den Füßen überhaupt keine Zeit finden könnte, Brandblasen zu bilden.
Nun, die Gäste auf Barrys Strandterrasse fanden es jedenfalls ausgesprochen komisch, wie die Zwei-Zentner-Gazelle auf die Kneipe zuhüpfte. Ich wurde mit großem Applaus empfangen, immerhin.
Ich habe den eigentlichen Paviljoen bisher höchstens zum Bezahlen betreten. Normalerweise sitzt man auf der Terrasse. Aber der Fernseher stand nun mal drinnen, und vier bis fünf Männer standen darum herum. Davon trugen zwei ein Trikot von Rabobank , und alle trugen Schuhe. Klugscheißer!
»Hi, Barry, ein Gerardus bitte!«
Ein Gerardus ist auch ein Abteibier, aber es ist nur beinahe so wie ein Grimbergen . Bei Barry war allerdings die Kühlung kaputt, er hatte nur Flaschenbier. Jan Ulrich durfte an der Tour de France nicht teilnehmen, weil er wohl gedopt hatte. Ich hatte eigentlich vorgehabt, nie wieder Radsport zu gucken, aber die Etappe war ungeheuer spannend. Floyd Landis
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