Der Tod heilt alle Wunden: Kriminalroman (German Edition)
Granitbrocken zum Vorschein kam, auf dem mit bereits abblätternder weißer Farbe
Lyke Farm Barn
geschrieben stand.
Ein altertümliches Tor, an noch älteren Torpfosten aus Sandstein befestigt, verwehrte die Zufahrt. Es ließ sich mühelos auf den rostigen Angeln bewegen, dennoch musste es für einen Kerl im Rollstuhl verflucht lästig sein.
Vorsichtig fuhr er den Weg entlang, der mit tiefen Furchen und Schlaglöchern übersät war. Kein Problem für einen Traktor oder einen Wagen mit Vierradantrieb, der Aufhängung eines normalen Autos aber war es eher abträglich. Und wenn es regnete, musste alles im Schlamm versinken. Nach etwa hundert Metern hörte er trotz der eigenen Motorgeräusche, wie röhrend eine Maschine angelassen wurde. Nach einer Kurve, durch die das Gebäude in Sicht kam, erblickte er das andere Motorrad. Der tief über den Lenker gebeugte Fahrer in schwarzer Ledermontur, mindestens doppelt so schnell wie er selbst, kam auf ihn zugerast. Kurz schien ein Zusammenstoß unausweichlich. Wield hielt an und bereitete sich darauf vor, über Bord zu gehen. Der andere Fahrer lehnte sich allerdings nur zur Seite und rauschte an ihm vorüber, so nah, dass Wield den Fahrtwind abbekam.
»Wichser!«, brüllte Wield.
Das alles war so schnell abgelaufen, dass er noch nicht einmal die Nummer mitbekommen hatte, aber sollte er raten, würde er sagen, dass die Maschine eine Buell Lightning gewesen war, die Langversion.
Er fuhr wieder los. Der Weg führte zu einem gepflasterten Hof, auf dem ein blauer Kangoo vor der umgebauten Scheune geparkt war. Kaum etwas an dem langen, niedrigen, mit cremefarbenem Kieselrauhputz versehenen Gebäude wies noch auf seinen ursprünglichen Zweck hin, vom unverhältnismäßig breiten Eingang vielleicht abgesehen, der für einen Rollstuhlfahrer allerdings sehr nützlich sein musste.
Die Tür stand offen, und als Wield abstieg, tauchte an der Schwelle ein Mann in einem Rollstuhl auf.
»Sergeant Wield! Wie schön, Sie zu sehen. Ich habe mich schon gefragt, wer da kommen mag. Sie fahren noch immer die Thunderbird, wie ich sehe. Dachte ich mir doch, dass ich das dumpfe Grollen kenne.«
Die Begrüßung war formvollendet, Roote jedoch schien ein wenig außer Atem zu sein, sein Gesicht war leicht gerötet.
»Ich wundere mich, dass Sie bei dem Krach der Lightning überhaupt etwas gehört haben. War das Edward Denham? Ich dachte schon, er wollte glatt durch mich durch.«
»Ach, Gott«, sagte Roote. »Das tut mir leid. Ja. Das war Teddy. Gut beobachtet, und dabei sind Sie kaum zwei Minuten hier! Der Ruf Ihrer Gründlichkeit ist wohlverdient. Ich werde Teddy den Marsch blasen, oder sollte ich lieber sagen, ihm die Straßenverkehrsordnung einpauken? Aber zum Glück haben Sie ja überlebt, und es ist eine Freude, Sie zu sehen, Sergeant Wield. Wie geht es Ihnen? Sie sehen gut aus, überhaupt nicht verändert.«
»Es geht mir gut, Mr. Roote«, sagte Wield, der sich natürlich fragte, was Ted Denham zu dieser Zeit zur Lyke Farm Barn geführt hatte.
»Kommen Sie doch rein«, sagte Roote, wendete seinen Rollstuhl und fuhr ins schlicht eingerichtete Wohnzimmer voran. Auf dem mit Granitplatten belegten Boden standen lediglich ein niedriger Tisch und eine dreiteilige, holzgerahmte Polstergarnitur. Die Wände waren geweißt, statt einer Decke erhob sich nach oben hin das Dachgestühl mit seinen Balken, das dem Raum etwas Kirchenartiges verlieh. Das 21 . Jahrhundert wurde durch einen Flatscreen- TV repräsentiert, der an einer der Stirnwände hing, sowie einer Computer-Workstation auf Rollstuhlhöhe.
Roote, dem nicht entging, dass sein Besucher das alles wahrnahm, sagte: »Ursprünglich lagen Teppiche auf dem Boden, damit alles ein wenig heimeliger wirkte, aber ich bat Maisie, sie zu entfernen. So konnte ich besser rollern, und ihre Teppiche halten länger.«
»Sie meinen Mrs. Sedgwick?«
»Tut mir leid, hätte ich anmerken sollen. Aber wozu, wenn man mit Sergeant Wield zu tun hat? Wen Peter so sehr wertschätzt, der muss anderen immer eine Nasenlänge voraus sein. Wie geht es ihm übrigens? Und seiner lieben Frau? Und natürlich der entzückenden Tochter?«
Für eine Sekunde fühlte sich Wield geschmeichelt, bevor er das Lob dem Mülleimer überantwortete. Er war mit Roote bei weitem nicht so gut bekannt wie Pascoe oder Dalziel, aber von ihren Erzählungen und den Akten wusste er, dass er es hier mit einem Meister der Irreführung zu tun hatte, gegenüber dem sich die meisten politischen
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