Der Tod heilt alle Wunden: Kriminalroman (German Edition)
Zeitung griff. Dadurch gewann er einige wertvolle Minuten im Kampf gegen die Langeweile.
Als er die Intensivstation erreichte, warf er einen Blick durch die Glastür, und plötzlich erschien ihm die Langeweile als ein höchst wünschenswerter Zustand.
Jemand war im Raum, tief über die ruhende Gestalt auf dem Bett gebeugt, die Hände schwebten über dem Kopf der Patientin.
Gordon Godley.
Seymour ließ Tasse und Zeitung fallen, stieß ein Bellen aus, das als »Hat!« zu identifizieren war und auf das Dalziel stolz gewesen wäre, drückte die Tür auf und stürmte hinein.
»Was zum Teufel treiben Sie da?«, herrschte er den Mann an, packte ihn und zerrte ihn weg.
Godley leistete keinen Widerstand.
»Es ist alles gut«, sagte er. »Wirklich. Es ist alles in Ordnung.«
»Wehe, wenn es nicht so ist, Sie Scheißkerl!«, stieß Seymour heraus und drückte den Mann gegen die Wand, hielt ihn mit einer Hand fest, während die andere, zur Faust geballt, halb erhoben war, um sofort zuschlagen zu können, falls der andere Sperenzchen machte.
Hat Bowler kam durch die Tür, gefolgt von der hübschen Krankenschwester.
»Brauchst du Hilfe?«, fragte Bowler.
»Nein, hab ihn unter Kontrolle«, sagte Seymour, irritiert, dass er wesentlich mehr außer Atem schien als Godley. »Schauen Sie nach, ob sie okay ist.«
Finster musterte er seinen widerstandslosen Gefangenen, bis die Schwester sagte: »Scheint alles in Ordnung zu sein. Kein Schaden angerichtet.«
»Gut«, sagte Bowler. »Gut gemacht, Dennis. Du hast ihn gerade noch rechtzeitig erwischt, bevor er was anstellen konnte.«
»Gott sei Dank«, sagte Seymour. Ihm wurde heiß und kalt, wenn er an Pascoes Reaktion dachte, falls er zu spät gekommen wäre.
Mr. Godley jedoch schüttelte nur den Kopf.
»Nein, ich glaube nicht«, sagte er. »Ich hatte Zeit genug, schätze ich.«
»Wofür, Sie Scheißkerl?«, schnauzte Seymour, von neuem alarmiert. »Was haben Sie mit ihr gemacht?«
Dann rief die Krankenschwester aus: »Sehen Sie nur!«
Ängstlich drehte er den Kopf herum.
Clara Brereton hatte die Augen aufgeschlagen. Unruhig sah sie sich um, erfasste den Raum, die Menschen darin. Mit den Fingern tastete sie an den Schlauch, der in ihren Mund führte, als wollte sie etwas sagen.
»Ich hole einen Doktor«, sagte die Schwester und drückte auf einen Knopf an der Wand.
Seymour sah zu Godley.
Der Mann nickte lächelnd.
»Da«, sagte er. »Sagte doch, dass Zeit genug war.«
10
S eymour war in seinem Wesen und durch seine Erziehung ein ehrlicher, geradliniger Mensch, so sehr, dass ihm – anders als seinen Kollegen – noch nicht einmal in den Sinn kam, er könnte durch ein wenig Unaufrichtigkeit auf der Karriereleiter sehr viel weiter vorankommen.
Als Pascoe im Avalon eintraf, versuchte der DC daher gar nicht, sein Pflichtversäumnis zu verschleiern, das Godley den Zugang zu Clara Brereton ermöglicht hatte, außer dass er vielleicht strafmildernd ein bisschen zu sehr die wundersamen Umstände ihrer Gesundung betonte.
Aber Pascoe war weder in der Stimmung für einen Anschiss noch für eine Diskussion über Wunder.
»Kann man mit ihr reden?«, wollte er wissen.
»Weiß nicht. Dr. Feldenhammer hat uns aus dem Raum geschickt.«
Ebenfalls war Pascoe nicht in der Stimmung, sich von Ärzten aufhalten zu lassen, die mit ihren Fachkenntnissen nichts gegen den Hokuspokus eines haarigen Heilers ausrichten konnten.
Er ging in die Intensivstation. Clara Brereton lag im Bett, sah noch immer sehr blass aus, wurde aber nicht mehr von Atem- oder Nährlösungsschläuchen behindert. Ihre intelligenten Augen registrierten seine Ankunft.
Mehrere Schwestern und Ärzte standen um das Bett. Einer von ihnen begann empört in seinem amerikanischen Akzent: »Hören Sie, wer immer Sie sein mögen …«
»Pascoe. DCI Pascoe. Sie sind Dr. Feldenhammer, richtig. Ich habe Ihr Foto gesehen.«
»Ja. Sie sind also Pascoe. Ich habe von Ihnen gehört.«
»Und ich von Ihnen«, entgegnete Pascoe bedeutungsschwanger. »Ich würde gern mit Miss Brereton reden.«
»Das wird nicht möglich sein, solange meine Leute hier zugange sind.«
»Wenn sie reden kann, ist es möglich«, sagte Pascoe.
Die beiden starrten sich an, was durch ein Flüstern vom Bett beendet wurde.
»Mr. Pascoe …«
»Ja. Ich bin hier, Miss Brereton.«
»Es tut mir leid«, sagte sie mit Tränen in den Augen, »aber ich kann mich an nichts erinnern … Was ist mit mir passiert? … ich kann mich nicht
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