Der Tod heilt alle Wunden: Kriminalroman (German Edition)
wie es um sie steht. Sie starrt hinüber zum Reha-Heim. Von ihrem Standort aus sind die Erweiterungsbauten nicht zu sehen. Der Blick geht zum Meer, davor die hohen Kamine und der viele grüne Efeu, der sich an die satten roten Backsteine heftet – das alles würde ein wunderbares Titelbild für eine Haus-und-Garten-Zeitschrift abgeben.
»Muss früher, als es noch in Privathand war, ein wunderbarer Ort gewesen sein«, sage ich.
»Ja, das war es«, sagt sie leise. »Herrlich. Es hat früher meiner Familie gehört. Eine Art Wittum. Meine Großmutter hat hier gewohnt. Ich bin immer gern bei ihr gewesen …«
In der Fensterscheibe kann ich ihr Gesicht und ihren verträumten Gesichtsausdruck erkennen. Ein hübsches Mädel. Dann bemerkt sie mein Spiegelbild, und sofort kehrt die Rettich-Miene zurück.
Sie dreht sich zu mir um.
»Andy Dalziel«, sage ich und strecke die Hand aus.
Ihr Handschlag ist ein Luftkuss. Dagegen ist der vom Heiler ein regelrechtes Armdrücken.
»Esther Denham«, sagt sie.
»Oh aye. Dann sind Sie mit Lady Denham verwandt?«
Ihr Gesicht verzieht sich, als hätte sie auf ein Salatblatt gebissen und dabei eine Schnecke entdeckt.
»Durch Heirat«, sagt sie. Sie spricht das Wort aus, als handele es sich dabei um einen operativen Eingriff unter Vollnarkose.
Dann ertönt Lady D.s dröhnende Stimme. »Esther, meine Liebe, da bist du ja. Komm und leiste mir Gesellschaft. Und du auch, Edward.«
Es ist, als würde man vor einem Kind stehen, das gesagt bekommt, es könne das Bonbon nicht haben, weil ihm stattdessen ein Tuttifrutti angeboten wird. Als sie sich von mir abwendet, erhellt sich ihr Gesicht, als hätte jemand einen Lichtschalter betätigt.
»Komme schon!«, ruft sie fröhlich.
Und sie läuft zur Büffelfrau wie ein verlorenes Schäfchen zu seiner Mutter.
Sir Teddy, sehe ich, hat die junge Heywood ebenso schnell verlassen, weshalb ich zu ihr zurückkehre.
»So wie die beiden springen, muss die Alte wirklich wissen, wo die Leichen verscharrt sind«, sage ich.
»Ich glaube eher, wo das Geld auf der Bank liegt«, erwidert sie.
»Oh aye? Dachte mir schon so was. Sie sind Bruder und Schwester, oder? Und wollen ihren Anteil vom Familienvermögen, wenn die Tante mal abtritt?«
»Sie ist nur eine angeheiratete Tante, es ist daher wohl verständlich, wenn sie meinen, sie müssten dafür was tun«, sagt sie.
»Klingt ganz danach, als würden Sie auf ihrer Seite stehen«, sage ich. »Oder nur auf Teddys Seite?«
»Nein. Ich gehe objektiv und analytisch vor. Ich bin Psychologin.«
Ich muss lachen. Nichts erlebt, nichts gemacht, und sie ist Psychologin!
»Was ist daran so komisch?«, will sie wissen, erneut aufgebracht.
Mir ist klar, dass ich ihr das nicht auf die Nase binden muss, also sage ich: »Hab mir gerade gedacht, der alte Stompy musste ja hocherfreut gewesen sein, als er herausfand, dass er eine von denen gezeugt hat.«
Sie wirft mir einen missbilligenden Blick zu, dann grinst sie.
»Ich sehe, Sie kennen meinen Vater ziemlich gut, Mr. Dalziel«, sagt sie.
»Gut genug. Wie kommt es, dass Teddy so klamm ist, dass er nach der Pfeife seiner Tante tanzt?«, frage ich. »Seine Schwester sagt, das alte Haus und wahrscheinlich das gesamte Grundstück hat früher ihrer Familie gehört. Sie müssen doch ein Vermögen gemacht haben, als sie es ans Avalon verkauft haben.«
»Ein Vermögen, ja, aber nicht für die Denhams, leider«, erklingt eine bekannte Stimme.
Ich sehe nach unten. Roote lächelt zu mir herauf. Das dürre Mädel ist in die Umlaufbahn ihrer Tante zurückgesogen worden – vielleicht hat der Anblick des tänzelnden Gefolges, das die jungen Denhams bilden, sie dazu bewogen, ebenfalls ihre Interessen zu wahren.
»Oh aye? Für wen dann?«, frage ich ihn.
Er lächelt und senkt die Stimme, so dass ich mich zu ihm hinunterbeugen muss. Auch das Mädel tut das. Ich habe den Eindruck, dass sie nicht viel verpassen will.
»Soweit ich weiß«, murmelt er, »und soweit man sagt, kam es nach dem tragischen, wenngleich angemessenen Ableben von Hog Hollis zu einer Wiederannäherung zwischen seiner Witwe und Sir Harry Denham, die einige Jahre lang nicht das beste Verhältnis zueinander gehabt hatten. Er machte sie dafür verantwortlich, dass der süße Odeur ihrer Schweine durch sein Salonfenster waberte, wann immer er seinen Nachmittagstee zu sich nahm.«
»Wird das eine längere Geschichte?«, frage ich. »Falls dem so ist, würde ich mich nämlich an ein ruhiges Plätzchen
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