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Der Tod ist mein Beruf

Der Tod ist mein Beruf

Titel: Der Tod ist mein Beruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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Als wir mit Essen fertig waren, zog Vater seine Uhr und sagte: "Und jetzt wollen wir beten."

    Wir knieten nieder. Das neue Dienstmädchen kam aus der Küche und kniete mit uns nieder. Die Kälte der Fliesen an meinen nackten Knien ging mir durch und durch. Vater stimmte ein Vaterunser an. Ich schickte mich an, seine Lippenbewegungen nachzumachen, ohne aber einen Laut herauszubringen. Er sah mich fest an, seine tiefliegenden Augen sahen traurig und müde aus, er unterbrach sich und sagte mit dumpfer Stimme: "Rudolf, bete laut!"
    Alle Augen richteten sich auf mich. Ich blickte Vater eine Zeitlang an, dann brachte ich mühsam heraus: "Ich kann nicht."
    Vater sah mich bestürzt an. "Du kannst nicht?"
    "Nein, Vater."
    Vater sah mich noch einen Augenblick lang an und sagte dann: "Wenn du nicht kannst, bete still."
    "Ja, Vater."
    Er fuhr in seinem Gebet fort, ich fing wieder an, die Lippen zu bewegen, und bemühte mich, an nichts zu denken. Zwei Tage darauf ging ich wieder zur Schule. Niemand sprach mich wegen des Vorfalls an. In der Morgenpause begann ich wiedermeine Schritte zu zählen, ich hatte die Strecke sechsmal zurückgelegt, da tauchte ein Schatten zwischen der Sonne und mir auf. Ich hob die Augen: Es war Hans Werner . "Guten Tag, Rudolf."
    Ich antwortete nicht und setzte meinen Weg fort. Er ging neben mir her. Während ich meine Schritte zählte, sah ich auf seine Beine. Er hinkte leicht. "Rudolf, ich muß dich sprechen."
    Ich blieb stehen. "Ich will mit dir nicht sprechen."
    "So!"
    sagte er nach einer Weile und blieb wie angenagelt stehen. Ich setzte meinen Marsch fort und kam zur Kapellmauer. Werner stand immer noch da, wo ich ihn verlassen hatte. Ich kam wieder auf ihn zu, er schien zu zögern, schließlich machte er auf den Hacken kehrt und ging davon. Am seIben Tag traf ich auf einem Korridor Pater Thaler. Er sprach mich an. Ich blieb stehen und stand stramm. "Da bist du ja!"
    "Ja, Hochwürden."
    "Man hat mir erzählt, du wärst sehr krank gewesen."
    "Ja, Hochwürden."
    "Aber jetzt geht es dir wieder gut?"
    "Ja, Hochwürden."
    Er sah mich schweigend scharf an, als falle es ihm schwer, mich wiederzuerkennen. "Du hast dich verändert."

    Dann fuhr er fort: "
    Wie alt bist du jetzt, Rudolf?"
    "Dreizehn Jahre, Hochwürden."
    Er schüttelte den Kopf. "Dreizehn Jahre! Erst dreizehn Jahre!"
    Er brummelte etwas in seinen Bart, klopfte mir auf die Wange und ging weiter. Ich betrachtete seinen Rücken, er war groß und mächtig. Ich dachte: 'Er ist ein Verräter!', und ein wilder Haß packte mich. Am nächsten Morgen, nachdem ich Vater verlassen hatte, bog ich um die Ecke der Schloßstraße, als ich Schritte hinter mir hörte. "Rudolf!"
    Ich drehte mich um. Es war Hans Werner. Ich drehte ihm den Rücken zu und setzte meinen Weg fort. "Rudolf", sagte er ganz außer Atem, "ich muß dich sprechen."
    Ich wandte nicht einmal den Kopf. "Ich will mit dir nicht sprechen."
    "Aber begreifst du denn nicht, Rudolf, ich muß dich sprechen."
    Ich beschleunigte meine Schritte. "Geh nicht so schnell, Rudolf, bitte! Ich komme nicht mit."
    Ich ging noch schneller. Er fing an, unbeholfen neben mir her zu hüpfen. Ich warf ihm von der Seite einen Blick zu und sah, daß sein Gesicht infolge der Anstrengung gerötet und verzerrt war . "Natürlich", sagte er keuchend, "versteh' ich. ..daß du mit mir. .. nicht mehr reden willst. ..nach dem, was ich dir angetan habe."
    Ich blieb sofort stehen. "Was hast du mir denn angetan?"
    "Ich ja nicht", sagte er peinlich berührt, "mein Alter war es. Mein Alter hat dich verpetzt."
    Ich sah ihn verdutzt an. "Er hat es den Patres erzählt?"
    "Noch am seIben Abend", erwiderte Werner, "am seIben Abend ist er hingegangen und hat sie angeschnauzt. Er ist mitten in der Elternversammlung über sie hergefallen. Er hat die Patres vor allen Leuten angeschnauzt!"
    "Hat er meinen Namen genannt?"
    "Und ob! Er hat sogar hinzugefügt: 'Wenn Sie solche Rohlinge unter Ihren Schülern haben, müssen Sie sie fortjagen."' "Das hat er gesagt?"
    "Ja", sagte Werner fast lustig, "aber du darfst dir nichts daraus machen, denn am nächsten Tag hat er dem Vorsteher geschrieben, du wärst nicht daran schuld gewesen, sondern der Schnee, und ich wollte nicht, daß du bestraft würdest."
    "So ist das also", sagte ich langsam und kratzte mit der Fußspitze auf dem Trottoir. "Haben Sie dich bestraft?"
    sagte Werner. Ich starrte auf meine Fußspitze, und Werner fragte noch einmal: "Haben sie dich bestraft?"

    "Nein."
    Werner zögerte.

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