Der Tod ist mein Beruf
wieder mich an und sagte mit dumpfer Stimme: "Bekenne deine Schuld!"
Es war in der Tat, als wäre der Teufel in mich gefahren. Ich konnte einfach nicht sprechen. "Das ist der Teufel!"
sagte Vater. Bertha verbarg ihr Gesicht in den Händen und fing an zu schluchzen. "Herr", sagte Vater , "da du meinen Sohn -verlassen hast- erlaube mir -in deiner Barmherzigkeit -noch einmal -seine abscheuliche Missetatauf meine Schultern zu nehmen."
Schmerz entstellte sein Gesicht, er rang die Hände, und dann kamen in einem grauenvollen Röcheln nacheinander die Worte aus seiner Kehle: "Mein Gott -ich klage mich an -das Bein -Hans Werners zerbrochen zu haben."
Nichts von allem, was er bisher gesagt hatte, tat größere Wirkung auf mich. Vater hob wieder den Kopf, ließ einen funkelnden Blick über uns schweifen und sagte: "Laßt uns beten!"
Er stimmte das Vaterunser an. Den Bruchteil eines Augenblickes später vereinigten Maria und meine beiden Schwestern ihre Stimmen mit der seinen. Vater sah mich an. Ich öffnete den Mund, kein einziger Ton kam heraus, der Teufel war in mir. Ich fing an, die Lippen zu bewegen, als ob ich leise betete, ich versuchte, gleichzeitig an die Worte des Gebets zu denken, aber alles war vergeblich, es gelang mir nicht. Vater machte das Zeichen des Kreuzes, stand auf, holte aus der Küche ein Glas Wasser und goß es Mama ins Gesicht. Sie bewegte sich etwas, schlug die Augen auf und kam taumelnd auf die Beine. "Geht schlafen", sagte Vater. Ich tat einen Schritt vorwärts. "Sie nicht, mein Herr!"
sagte Vater mit eisiger Stimme. Mama ging hinaus, ohne mich anzusehen. Meine beiden Schwestern folgten ihr. Maria drehte sich auf der Schwelle noch einmal um, blickte Vater an und sagte langsam und deutlich: "Es ist eine Schande!"
Dann ging sie hinaus. Ich wollte schreien: Maria!, aber ich vermochte nicht zu sprechen. Ich hörte ihren schleppenden Schritt sich auf dem Korridor verlieren. Eine Tür klappte, und ich blieb mit Vater allein. Er wandte sich um und sah mich so haßerfüllt an, daß ich einen Augenblick lang Hoffnung hatte. Ich glaubte, er würde mich schlagen. "Komm!"
sagte er mit dumpfer Stimme. Mit seinem steifen Schritt ging er voraus, ich folgte ihm. Nach den Fliesen des Eßzimmers erschien der Fußboden des Korridors meinen nackten Füßen fast warm.
Vater öffnete die Tür seines Arbeitszimmers, es war eiskalt darin, er ließ mich vorangehen und schloß die Tür. Er zündete keine Lampe an, sondern zog die Vorhänge des Fensters auf. Die Nacht war klar, und die Dächer des Bahnhofs waren mit Schnee bedeckt. "Wir wollen beten."
Er kniete zu Füßen des Kruzifixes nieder, ich kniete hinter ihm. Nach einem Weilchen drehte er sich um. "Du betest nicht?"
Ich sah ihn an und nickte bejahend. "Bete laut!"
Ich wollte sagen: Ich kann nicht! Meine Lippen rundeten sich, ich griff mit den Händen nach meiner Kehle, aber es kam kein Ton heraus. Vater faßte mich an den Schultern, als ob er mich schütteln wollte. Er ließ mich aber gleich wieder los, wie wenn die Berührung mit mir ihm Abscheu einflößte. "Bete!"
sagte er feindselig. "Bete, bete!"
Ich bewegte die Lippen, aber es kam nichts. Vater lag auf den Knien, halb zu mir gewandt; seine tiefliegenden funkelnden Augen starrten mich an, und es schien, als hätte es nun ihm die Sprache verschlagen. Nach einer Weile blickte er weg und sagte: "Nun gut, dann bete leise!"
Dann drehte er sich um und stimmte ein Ave an. Diesmal bemühte ich mich nicht einmal mehr, die Lippen zu bewegen. Mein Kopf war leer und heiß. Ich versuchte nicht mehr, mein Zittern zu unterdrücken. Von Zeit zu Zeit preßte ich die Schöße meines Hemdes an die Seiten. Vater bekreuzigte sich, drehte sich um, sah mich starr an und sagte gewissermaßen triumphierend : "Hiernach -Rudolf -wirst du verstehen -wie ich hoffe -wirst du verstehen -daß du noch -Priester -werden kannst -aber nicht mehr-Missionar."
Am nächsten Tag wurde ich ernstlich krank. Ich erkannte niemanden, ich verstand nicht, was man zu mir sagte, und ich konnte nicht sprechen. Man drehte mich hin, man drehte mich her, man legte mir Kompressen auf, man ließ mich etwas trinken, man legte mir Eisbeutel auf den Kopf, man wusch mich. Darauf beschränkten sich meine Beziehungen zur Familie. Was mir besonderes Vergnügen bereitete, war, daß ich die Gesichter nicht mehr klar erkennen konnte. Ich sah sie als weißliche ausgefüllte Kreise, ohne Nase, ohne Augen, ohne Mund, ohne Haar. Die Kreise bewegten sich im Zimmer
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