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Der Tod ist mein Beruf

Der Tod ist mein Beruf

Titel: Der Tod ist mein Beruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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sich, und sobald sie saß, sah man auf ihrem Gesicht die Ermüdung. "Rudolf. .."
    "Ja, Mutter."
    Sie blickte weg und sagte zögernd: "Willst du noch weiter jeden Tag um fünf Uhr aufstehen, um die Messe zu hören?"
    Angst schnürte mir die Kehle zu. Ich wollte antworten, aber ich war ohne Stimme. Mutter strich hilflos die Schürze auf ihren Knien glatt und fuhr fort: "Ich dachte, du brauchtest vielleicht nur jeden zweiten Tag zu gehen."
    Ich schrie: "Nein."

    Mutter warf mir einen erstaunten Blick zu, sah dann wieder auf ihre Schürze und sagte zögernd: "Du siehst müde aus, Rudolf."
    "Ich bin nicht müde."
    Danach warf sie mir noch einen Blick zu, seufzte und sagte, ohne mich anzusehen: "Ich habe auch daran gedacht. ..was das Abendgebet angeht. ..jeder könnte vielleicht in seinem Zimmer beten. .."
    "Nein."
    Mutter sackte auf ihrem Stuhl zusammen, und ihre Augen blinzelten. Ein Schweigen entstand, dann fuhr sie schüchtern fort: "Aber du selbst. .."
    Ich glaubte, sie wollte sagen: 'Du selbst betest ja nicht', aber sie sagte nur: "Aber du selbst betest leise."
    "Ja, Mutter."
    Sie blickte mich an. Ich sagte, ohne die Stimme zu heben, genauso wie Vater es tat, wenn er einen Befehl erteilte: "Es kann keine Rede davon sein, etwas zu ändern."
    Nach einer Weile seufzte Mutter, stand auf und verließ wortlos das Zimmer.

    An einem Augustabend tauchte während des Essens Onkel Franz bei uns auf, sein Gesicht war gerötet und heiter, und von der Schwelle aus rief er triumphierend: "Der Krieg ist erklärt!"
    Mutter stand auf, ganz bleich, und Franz sagte: "Zieh doch nicht so ein Gesicht! In drei Monaten ist alles vorüber."
    Er rieb sich die Hände und setzte hinzu: "Meine Frau ist wütend."
    Mutter stand auf, um die Flasche mit dem Kirschwasser aus dem Büfett zu holen. Onkel Franz setzte sich, bog sich über die Lehne seines Stuhles zurück, streckte seine gestiefelten Beine weit von sich, knöpfte seinen Rock auf und sah mich blinzelnd an. "Na, Junge", sagte er belustigt, "was hältst du davon?"
    Ich sah ihn an und sagte: "Ich werde mich freiwillig melden."
    Mutter rief: "Rudolf!"
    Sie stand vor dem Büfett, die Flasche Kirschwasser in der Hand,  aufrecht und bleich. Onkel Franz sah mich an, und sein Gesicht nahm einen ernsten Ausdruck an. "Recht so,' Rudolf! Du hast sofort an deine Pflicht gedacht."

    Er wandte sich zu meiner Mutter und sagte mit spöttischer Miene: "Stell nur die Flasche her. Du wirst sie noch zerbrechen."
    Mutter gehorchte. Onkel Franz sah sie an und sagte gutmütig: "Beruhige dich. Er hat noch nicht das nötige Alter."
    Und er fügte hinzu: "Daran fehlt noch viel. Und wenn er es erreicht hat, ist alles vorbei."
    Ich stand wortlos auf, ging in mein Zimmer, schloß mich ein und

    fing an zu weinen. Ein paar Tage später gelang es mir, mich außerhalb der Schulzeit als freiwilliger Hilfskrankenträger beim Roten Kreuz einstellen zu lassen, um die Lazarettzüge mit zu entladen. Meine Anfälle schwanden, ich las begierig in den Zeitungen die Kriegsberichte, ich schnitt aus den Illustrierten Fotografien aus, die Haufen von Feindesleichen auf dem Schlachtfeld zeigten, und heftete sie mit Reißzwecken an die vier Wände meines Zimmers. Mutter hatte auf dem Abort wieder eine Glühbirne eingesetzt, und jeden Morgen, ehe ich zur Messe ging, las ich dort die Zeitung, die ich am Abend vorher gelesen hatte, noch einmal. Sie war voll von Scheußlichkeiten, welche die Franzosen begingen, um ihren Rückzug zu bemänteln. Ich zitterte vor Empörung, ich hob den Kopf, der Teufel sah mich an. Ich hatte keine Angst mehr vor ihm. Ich erwiderte seinen Blick. Er hatte braunes Haar, schwarze Augen und ein häßliches Gesicht. Er glich in jeder Hinsicht den Franzosen. Ich zog einen Bleistift aus der Hosentasche, strich das Wort unter der Zeichnung: "Der Teufel"
    aus und schrieb darunter: "Der Franzose."
    Ich kam zehn Minuten zu früh in der Kirche an, nahm Vaters Platz ein, legte mein Meßbuch auf das Betpult, setzte mich und kreuzte die Arme. Tausende von Teufeln tauchten vor mir auf. Sie zogen besiegt, entwaffnet an mir vorüber, das französische Käppi zwischen ihren Hörnern, die Arme über dem Kopf erhoben. Ich ließ ihnen ihre Kleider wegnehmen. Sie zogen noch einmal im Kreis herum, dann trieb man sie auf mich zu. ..Ich saß in Helm und Stiefeln da, rauchte eine Zigarette, hatte ein glänzendes Maschinengewehr zwi- schen den Beinen, und als sie nahe genug heran waren, schlug ich das Zeichen des Kreuzes und begann zu

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