Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Tod ist mein Beruf

Der Tod ist mein Beruf

Titel: Der Tod ist mein Beruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
Vom Netzwerk:
Schüssel Kartoffeln herein und stellte sie auf den Tisch. "Immer wieder Kartoffeln!"
    sagte Bertha und schob ihren Teller verdrießlich zurück. Ich sah sie an. "Bertha, im Schützengraben haben sie nicht einmal alle Tage Kartoffeln."
    Bertha wurde rot, aber dann erwiderte sie: "Was weißt du davon! Du warst doch nicht dort."
    Ich legte die Gabel auf den Tisch und sah sie an.

    "Bertha", sagte ich, "ich habe zweimal versucht, an die Front zu gehen. Sie haben mich nicht gewollt. Inzwischen arbeite ich täglich zwei Stunden in einem Lazarett."
    Ich machte eine Pause und sprach dann betont und laut: "Das tue ich für Deutschland. Und du, Bertha, was tust du für Deutschland?"
    "Bertha", sagte Mutter, "du solltest dich schämen. .."
    Ich unterbrach sie. "Bitte, Mutter!"
    Sie schwieg. Ich wandte mich wieder an Bertha, sah sie fest an und wiederholte, ohne die Stimme zu erheben: "Bertha, was tust du für Deutschland?"
    Bertha fing an zu weinen, und bis zum Nachtisch fiel kein Wort mehr. Als Mutter aufstehen wollte, um abzudecken, sagte ich: "Mutter..."
    Sie setzte sich wieder, und ich sah sie an. "Ich hab' mir's überlegt. Vielleicht wäre es besser, das gemeinsame Abendgebet wegzulassen. Jeder könnte in seinem Zimmer beten."
    Mutter sah mich an. "Du hast doch nein gesagt, Rudolf."
    "Ich hab' mir's überlegt."
    Es entstand ein Schweigen, und Mutter sagte: "Wie du willst, Rudolf."
    Sie schien noch etwas hinzufügen zu wollen, besann sich aber. Sie fing an, mit meinen Schwestern den Tisch abzuräumen. Ich blieb sitzen, ohne mich zu rühren. Als sie wieder aus der Küche hereinkamen, sagte ich: "Mutter. .."
    "Ja, Rudolf."
    "Von jetzt an werde ich mit euch zusammen frühstücken."
    Ich fühlte, daß meine Schwestern mich anstarrten. Ich drehte mich zu ihnen um. Sie schlugen sofort die Augen nieder. Mutter setzte mechanisch das Glas, das sie in die Hand genommen hatte, wieder auf den Tisch. Auch sie hatte die Augen gesenkt. Nach einem Weilchen sagte sie: "Du standest bis jetzt um fünf Uhr auf, Rudolf."
    "Ja, Mutter."
    "Und du willst es nicht mehr?"
    "Nein, Mutter."
    Ich setzte hinzu: "Ich werde von jetzt an um sieben Uhr aufstehen."
    Mutter rührte sich nicht, sie war nur etwas bleich geworden, und ihre Hand schob das Glas auf dem Tisch hin und her. Zögernd fragte sie: "Um sieben Uhr, ist das nicht zu spät, Rudolf?"
    Ich sah sie an. "Nein, Mutter. Ich gehe von hier aus direkt in die Schule."
    Ich betonte das "direkt". Mutter blinzelte, sagte aber nichts. Ich fuhr fort: "Ich fühle mich etwas müde."
    Mutters Gesicht hellte sich auf.

    "Natürlich", sagte sie hastig, und als ob diese Bemerkung sie von . einer großen Last befreit hätte: "Natürlich, bei der Arbeit, die du leistest ..."
    Ich unterbrach sie. "Also abgemacht?"
    Sie nickte zustimmend, ich sagte: "Gute Nacht", wartete, bis alle mir darauf geantwortet hatten, und ging in mein Zimmer . Ich schlug mein Geometriebuch auf und begann, meine Aufgabe für den nächsten Tag durchzugehen. Es gelang mir nur schlecht, meine Aufmerksamkeit darauf zu richten. Ich legte das Buch auf den Tisch, nahm meine Schuhe und fing an, sie zu wichsen. Nach einem Weilchen glänzten sie, und ich empfand Befriedigung darüber. Ich stellte sie sorgfältig ans Fußende meines Bettes, wobei ich darauf achtgab, daß die Absätze auf einer Linie des Fußbodens standen. Dann stellte ich mich vor den Spiegelschrank, und als ob eine,Stimme mir den Befehl gegeben hätte, stand ich plötzlich stramm. Fast eine Minute lang studierte und korrigierte ich geduldig meine Haltung, und als sie wirklich vollkommen war, blickte ich in den Spiegel, sah mir in die Augen: und langsam, deutlich, ohne eine Silbe auszulassen, genauso, wie Vater es tat, wenn er betete, sprach ich die Worte: "Meine Kirche heißt Deutschland."
    Danach zog ich mich aus, legte mich ins Bett, nahm die Zeitung vom Stuhl und fing an, die Kriegsnachrichten von der ersten bis zur letzten Zeile zu lesen. Auf dem Bahnhof schlug es neun Uhr. Ich faltete die Zeitung zusammen, legte sie auf den Stuhl und streckte mich in meinem Bett aus, mit offenen Augen, aber bereit, sie zu schließen, sobald Mutter in mein Zimmer käme, um das Licht zu löschen. Ich hörte die Tür meiner Schwestern leicht knarren, dann Mutter mit weichen Schritten an meiner Tür vorbeigehen. Mutters Tür knarrte ebenfalls, der Riegel scharrte, Mutter fing hinter der Wand an zu husten, dann wurde es still. Ich wartete noch unbeweglich eine Minute lang. Dann nahm ich wieder die

Weitere Kostenlose Bücher