Der Tod ist mein Beruf
Zeitung zur Hand, schlug sie auf und fing wieder an zu lesen. Nach einer Weile sah ich nach der Uhr. Es war halb zehn. Ich legte die Zeitung weg, stand auf und löschte das Licht. Am 1. August 1916 trat ich, nachdem ich zum drittenmal von zu Hause ausgerissen war, dank Rittmeister Günther beim Dragonerregiment 23 in B. ein. Ich war fünfzehn Jahre und acht Monate alt. Die Ausbildung ging schnell. Ich war klein, aber kräftig genug für meine Größe und hielt die Anstrengungen des Dienstes rühmlich aus. Ich hatte einen großen Vorteil vor den anderen Rekruten: Ich konnte schon reiten, da ich mehrere Ferien auf einem Gut in Mecklenburg zugebracht hatte. Und vor allem liebte ich die Pferde. Es war nicht nur das Vergnügen am Reiten. Es machte mir Freude, sie zu sehen, sie zu pflegen, ihren Geruch einzuatmen, um sie zu sein. In der Kaserne stand ich bald im Ruf, gefällig zu sein, weil ich gern die Stallwache meiner Kameraden zu meiner hinzu übernahm. Aber darin lag keinerlei Verdienst. Ich war lieber mit Tieren zusammen. Das geregelte Kasernenleben war gleichfalls für mich eine große Quelle des Vergnügens. Ich glaubte zu wissen, was geregelter Betrieb war, weil zu Hause unsere Stunden genau eingeteilt waren. Aber es war doch nicht ganz dasselbe. Zu Hause gab es hin und wieder noch unausgefüllte Zeiten, leere Augenblicke. In der Kaserne war die Regelung wahrhaft vollkommen. Die Behandlung der Waffen entzückte mich besonders. Ich hätte gewünscht, auf diese Weise das ganze Leben so in Stücke zerlegen zu können. Morgens, gleich nach dem Wecken, trieb ich ein kleines Spiel, das ich erfunden und durchgebildet hatte, wobei ich darauf achtete, daß kein Kamerad es merkte. Beim Aufstehen zerlegte ich meine Bewegungen: erstens die Decke zurückwerfen, zweitens die Beine heben, drittens sie auf den Boden fallen lassen, viertens stehen. Dieses kleine Spiel verschaffte mir ein Gefühl der Befriedigung und Sicherheit, und während der ganzen Dauer der Ausbildung unterließ ich es kein einziges Mal. Ich glaube sogar, ich hätte es den ganzen Tag über auf alle meine Bewegungen ausgedehnt, wenn ich nicht gefürchtet hätte, daß man es auf die Dauer merken würde. Rittmeister Günther wiederholte unaufhörlich mit frohlockender Miene, wir kämen "anderswohin, Herrgott! anderswohin", aber die Pessimisten sagten, seine fröhliche Laune sei im Grunde alberne Angeberei, und wir wären sicher für Rußland bestimmt. Eines Morgens jedoch erhielten wir Befehl, uns auf Kammer zu begeben, um neue Uniformen zu fassen. Wir traten in Reihe vor der Tür an, und als die ersten mit dem neuen Bündel wieder herauskamen, sahen wir, daß Khakisachen und ein Tropenhelm darin waren. Sofort lief ein Wort wie ein Schauer durch die ganze Reihe, und schließlich platzte es wie eine Bombe als Zeichen der Freude und Erleichterung heraus: "Türkei!"
Dann kam lächelnd Rittmeister Günther, und der Orden Pour le mérité, den er eben erhalten hatte, glitzerte an seinem Hals. Er hielt einen Dragoner an, zeigte uns Stück für Stück der Ausrüstung und bemerkte, daß darin Tausende von Mark steckten. Als er zu der kurzen Hose kam, faltete er sie auseinander, ließ sie lustig in der Luft tanzen und sagte, die Armee verwandle uns in kleine Jungen, damit wir den Engländern nicht zuviel Angst einjagten. Die Dragoner fingen an zu lachen, und einer sagte, die kleinen Jungen würden sie zum Laufen bringen. Rittmeister Günther sagte: "Jawohl, mein Herr!"
und setzte hinzu, diese Nichtstuer von Engländern verbrächten an den Ufern des Nils ihre Zeit damit, Tee zu trinken und Fußball zu spielen, aber bei Gott!, wir würden ihnen zeigen, daß Ägypten weder eine Teestube noch ein Fußballplatz sei. Als wir in Konstantinopel ankamen, leitete man uns nicht, wie uns gesagt worden war, nach Palästina, sondern in den Irak. In Bagdad verließen wir den Zug, die Abteilung stieg in den Sattel, und wir erreichten in kurzen Tagemärschen ein kleines elendes Nest mit langen, niedrigen Lehmhütten, das Fellalieh hieß. Dort waren wenige primitive Befestigungsanlagen, und etwa zweihundert Meter von dem türkischen Lager entfernt schlugen wir unseres auf. Eine Woche nach unserer Ankunft griffen die Engländer täglich bei wunderbar klarem Wetter nach starker Artillerievorbereitung mit Hindutruppen an. Gegen Mittag nahm der Unteroffizier drei Mann, Schmitz, Becker und mich, und ein Maschinengewehr mit. Er führte uns ganz weit vor, auf den rechten Flügel unserer Truppe,
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