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Der Tod ist mein Beruf

Der Tod ist mein Beruf

Titel: Der Tod ist mein Beruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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empfand ein seltsames Gefühl von Kälte. In der Nacht fuhr ich wieder mit dem Zug zurück. Er war vollgestopft mit Truppen, die man an die russische Front warf. Ich fand ein Abteil erster Klasse, es war besetzt, aber ein Obersturmführer überließ mir sofort seinen Platz. Das Licht war wegen etwaiger Luftangriffe abgeblendet, und die Vorhänge waren sorgfältig zugezogen. Ich setzte mich, der Zug ruckte hart an und begann mit verzweifelter Langsamkeit dahinzurollen. Ich fühlte mich müde, aber es gelang mir nicht zu schlafen. Endlich kam die Morgendämmerung, und ich schlummerte ein bißchen. Die Fahrt zog sich hin, von zahlreichen Halts unterbrochen. Zuweilen stand der Zug zwei oder drei Stunden still, dann fuhr er langsam weiter. Gegen Mittag wurden Verpflegung und heißer Kaffee verteilt. Ich ging auf den Gang hinaus, um eine Zigarette zu rauchen. Ich sah den Obersturmführer, der mir seinen Platz abgetreten hatte. Er saß schlafend auf seinem Tornister. Ich weckte ihn und forderte ihn auf, ins Abteil zu gehen und sich wieder einmal zu setzen. Er stand auf, stellte sich vor, und wir unterhielten uns ein paar Minuten. Er war Lagerführer im KZ Buchenwald gewesen, und man hatte ihn auf seine Bitte hin zur Waffen-SS versetzt. Er ging zu seinem Regiment nach Rußland. Ich fragte ihn, ob er sich freue. Er sagte lächelnd: "Ja, sehr."
    Er war groß, blond, schlank, sehr schmalhüftig. Er mochte zweiundzwanzig Jahre alt sein. Er hatte den Feldzug in Polen mitgemacht, war verwundet worden, und nach der Entlassung aus dem Lazarett hatte man ihn ins KZ Buchenwald versetzt, wo er "sich sehr gelangweilt"
    hätte. Aber jetzt wäre alles gut, er werde "sich wieder regen und kämpfen"
    können. Ich bot ihm eine Zigarette an und bestand darauf, daß er ins Abteil ging, um sich einen Augenblick auszuruhen Der Zug fuhr schneller und kam nach Schlesien. Der Anblick der mir so vertrauten Landschaft schnürte mir das Herz zusammen. Ich erinnerte mich an die Kämpfe der Freikorps unter Roßbach gegen die polnischen Sokols. Wie hatten wir damals gekämpft! Und was für eine prächtige Truppe war das! Auch ich wollte nur "mich regen und kämpfen". Ich war damals auch zwanzig. Es war sonderbar, sich sagen zu müssen, daß das alles schon solange her und vorbei war. Auf dem Bahnhof in Auschwitz telefonierte ich nach dem Lager, daß sie mir einen Wagen schickten. Es war neun Uhr abends. Seit Mittag hatte ich nichts gegessen, ich war hungrig. Das Auto kam nach fünf Minuten an und brachte mich nach Hause. Im Schlafzimmer der Jungen brannte das Nachtlicht, ich klingelte nicht, sondern öffnete die Tür mit meinem Hauptschlüssel. Ich legte meine Mütze auf das Tischchen in der Diele und ging ins Eßzimmer. Ich klingelte nach dem Mädchen, sie erschien auch gleich, und ich trug ihr auf, mir zu essen zu bringen, was sie da hätte. Ich merkte, daß ich die Handschuhe anbehalten hatte, zog sie aus und ging auf die Diele, um sie dort abzulegen. Wie ich vor dem Tischchen stand, hörte ich Schritte, ich hob den Kopf, Elsie kam die Treppe herunter. Als sie mich sah, blieb sie jäh stehen, sah mich an, erblaßte, taumelte und lehnte sich an die Wand. "Mußt du weg?"
    sagte sie mit tonloser Stimme. Ich sah sie erstaunt an. "Ob ich weg muß?"
    "An die Front?"
    Ich blickte weg. "Nein."
    "Ist das wahr? Ist das wahr?"
    sagte sie stammelnd. "Du mußt also nicht weg?"

    "Nein."
    Ihr Gesicht strahlte vor Freude, sie sprang die Stufen herab und warf sich in meine Arme. "Na, na!"
    sagte ich. Sie bedeckte mein Gesicht mit Küssen. Sie lächelte, und in ihren Augen glänzten Tränen. "Du mußt also nicht weg?"
    sagte sie. "Nein."
    Sie hob den Kopf und sagte mit dem Ausdruck ruhiger, tiefer Freude: "Gott sei Dank."
    Namenlose Wut packte mich, und ich schrie: "Schweig!"
    Dann drehte ich mich schnell um, wandte ihr den Rücken zu und ging ins Eßzimmer . Das Dienstmädchen hatte den Tisch gedeckt und die Platten hingestellt. Ich setzte mich. Nach einer Weile kam Elsie herein, nahm neben mir Platz und sah mir beim Essen zu. Als das Mädchen hinausgegangen war, sagte sie leise zu mir: "Natürlich verstehe ich, daß es für einen Offizier sehr hart ist, nicht an die Front gehen zu dürfen."
    Ich blickte sie an. "Es hat nichts zu sagen, Elsie. Das von vorhin tut mir leid. Ich bin bloß etwas müde.,, Ein Schweigen entstand, ich aß, ohne den Kopf zu heben. Ich sah, wie Elsie an einer Falte des Tischtuches zupfte und sie dann mit der flachen Hand glättete. Sie sagte

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