Der Tod ist mein Beruf
angerührt. Ich sagte schroff: "Kommen Sie nach, wenn Sie fertig sind."
Setzler nickte und setzte sich. Sein kahler Schädel wurde langsam rot, und er mied meinen Blick. Schmolde trat beiseite, um mich vorbeizulassen. "Es ist Ihnen wohl nicht unangenehm, wenn wir zu Fuß gehen? Es ist nicht weit."
"Durchaus nicht."
Die Sonne schien sehr warm. Mitten auf dem Weg, den wir entlanggingen, lief ein Zementstreifen, auf dem zwei Mann nebeneinander gehen konnten. Das Lager war vollkommen verlassen, aber im Vorübergehen hörte ich Stimmengewirr im Innern der Baracken. Ich bemerkte einige Gesichter hinter den Fensterscheiben und begriff, daß die Häftlinge nicht heraus durften. Ich bemerkte auch, daß es zweimal soviel Wachtürme gab als in Auschwitz, obwohl das Lager kleiner war, und stellte fest, daß der Stacheldrahtzaun elektrisch geladen war. Die Drähte wurden von schweren Betonpfosten gehalten, die oben nach innen gebogen waren. Auf diese Weise ragten die obersten Drähte um mindestens sechzig Zentimeter über das senkrechte Netz zwischen den Pfosten hinaus. Es war offensichtlich unmöglich, selbst für einen Akrobaten, dieses Hindernis zu überspringen, ohne es zu berühren. Ich wandte mich an Schmolde: "Ist ständig Strom darin?"
"Nachts. Aber wir geben manchmal auch tags Strom, wenn die Häftlinge nervös sind."
"Sie haben manchmal Ärger?"
"Oft."
Schmolde leckte sich die Lippen und fuhr mit langsamer, apathischer Stimme fort: "
Verständlicherweise, sie wissen, was sie erwartet."
Ich dachte darüber nach und sagte: "Ich sehe nicht ein, wie sie es erfahren können."
Schmolde zog ein Gesicht. "Grundsätzlich ist es streng geheim. Aber alle Häftlinge des Lagers sind im Bilde. Und mitunter wissen es sogar die, die ankommen."
"Von wo kommen sie?"
"Aus dem Warschauer Getto."
"Alle?"
Schmolde senkte den Kopf. "Alle. Meiner Meinung nach gibt es sogar im Getto Leute, die es wissen. Das Lager ist zu nahe bei Warschau."
Hinter der letzten Baracke war eine große freie Fläche, dann öffnete uns ein bewaffneter Posten eine hölzerne Schranke, und wir betraten einen geschotterten Weg, der rechts und links von einem doppelten
Stacheldrahtzaun flankiert war. Dann kam ein anderes Tor, das von etwa zehn SS-Männern bewacht wurde. Dahinter stand eine Wand aus Büschen. Man ging um sie herum, und eine tiefer liegende lange Baracke wurde sichtbar. Ihre Fensterläden waren hermetisch verschlossen. Etwa dreißig SS-Männer, mit Maschinenpistolen bewaffnet und von Hunden begleitet, waren rings darum aufgestellt. Jemand rief: "Achtung!"
Die SS-Männer erstarrten, und ein Untersturmführer meldete. Er war blond, hatte ein viereckiges Gesicht und Säuferaugen. Ich sah mich um. Eine doppelte Reihe elektrisch geladener Stacheldrähte umgab die Baracke vollständig und bildete einen zweiten Zaun innerhalb des Lagerzaunes. Auf der anderen Seite des Stacheldrahts versperrten Büsche und Tannen die Sicht. "Wollen Sie einen Blick hineinwerfen?"
fragte Schmolde. Die SS-Männer entfernten sich, und wir lenkten unsere Schritte zur Baracke. Die Tür war aus massiver Eiche, mit Eisen beschlagen und mit einem schweren Metallriegel verschlossen. Im oberen Teil war ein kleines Guckfenster aus sehr dickem Glas. Schmolde drehte einen in die Mauer eingelassenen Schalter und versuchte den Sperriegel zu heben. Es gelang ihm nicht, und der Untersturmführer stürzte herbei, um ihm zu helfen. Die Tür ging auf. Beim Eintreten hatte ich den Eindruck, daß mir die Decke auf den Kopf fiele. Ich hätte sie mit der Hand erreichen können. Drei mächtige vergitterte Lampen erhellten den Raum. Er war vollkommen leer. Der Fußboden war zementiert. Auf der gegenüberliegenden Seite befand sich noch eine Tür, die hinter das Gebäude führte, aber diese hatte kein Guckfenster . "Die Fenster", sagte Schmolde, "haben natürlich keine Scheiben. Wie Sie sehen, sind sie vollständig. .."
-er leckte sich die Lippen ". ..dicht und schließen von außen."
Neben einer der vergitterten Lampen bemerkte ich eine kleine runde Öffnung von etwa fünf Zentimeter Durchmesser. Ich hörte Rennen, schrille Schreie und rauhe Befehle. Die Hunde bellten. "Das sind sie", sagte Schmolde. Er ging mir voraus. Obgleich seine Mütze noch ein paar Zentimeter von der Decke entfernt war, senkte er den Kopf, während er durch den Raum schritt. Als ich hinaustrat, kam die Kolonne der Häftlinge im Laufschritt vom Gebüsch her, SS-Männer und Hunde begleiteten sie. Geheul, gemischt
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