Der Tod ist mein Nachbar
Nachmittag nicht mehr viel übrig …«
»Sie hatte vermutlich etliche Männerbekanntschaften …«
»Ja, sie war ein Typ, auf den die Männer stehen.«
»Und Sie?«
»Sagen wir mal so, Inspector: Hätte sie mich an dem Nachmittag aufgefordert, mit ihr ins Bett zu gehen, wäre ich ruckzuck die Treppe hochgesprintet.«
»Aber zu dieser Aufforderung kam es nicht?«
»Nein.«
»Auch nicht an andere Männer?«
»Nicht im Bloxham Drive. Wir haben hier nämlich ein lückenloses Überwachungssystem.«
»Sogar frühmorgens?«
»Ich habe Ihnen ja erzählt, daß mich jemand am Montag morgen zur Arbeit fahren sah.«
»Und Sie meinen, andere könnten das auch gesehen haben?«
»Klarer Fall.«
Morse wechselte erneut die Richtung. »Sie würden Bekannte von Rachel James nicht wiedererkennen?«
»Nein.«
»Haben Sie den Namen Julian Storrs schon mal gehört?«
»Ja.«
»Kennen Sie ihn?«
»Kennen wäre zuviel gesagt. Er ist am Lonsdale College, und ich habe ihn letztes Jahr – im Dezember, glaube ich – für die Oxford Mail interviewt, als er die jährliche Pitt Rivers-Vorlesung hielt. Über Captain Cook, wenn ich mich recht erinnere. Mir war vorher nie so richtig klar gewesen, daß die Eingeborenen ihn haßten wie die Pest – auf den Sandwich-Inseln oder wo das war.«
»Das weiß ich auch nicht mehr«, sagte Morse, als hätte er es je gewußt.
In seinem Gymnasium hatte Morse die Wahl zwischen Griechisch, Geographie und Deutsch gehabt, und da er sich für Griechisch entschieden hatte, waren seine Geographiekenntnisse höchst lückenhaft. Erst mit Ende Zwanzig hatte er entdeckt, daß die Balkanstaaten und das Baltikum nicht ein und dasselbe waren. Über die Reisen des Captain Cook aber hätte Morse zumindest einiges wissen müssen, da dieser berühmte britische Seefahrer, Entdecker und Kartograph für seinen Vater – anders als für die Eingeborenen »auf den Sandwich-Inseln oder wo das war« – der größte Held seines Lebens gewesen war.
»Sie haben Mr. Storrs nie im Bloxham Drive gesehen?«
Owens’ Augen schossen plötzlich von unten links nach oben rechts wie die eines Hirsches, der ein Raubtier wittert.
»Nie. Warum?«
»Weil …« – Morse beugte sich ein paar Zentimeter vor und mobilisierte an kreativer Erfindungsgabe alles, was ihm zu Gebote stand – »… weil jemand in Ihrer Straße – das ist übrigens streng vertraulich! – sagt, er sei vor noch nicht allzu langer Zeit dabei beobachtet worden, wie er ein Haus dort betrat.«
»Welches Haus?« fragte Owens überraschend scharf.
Morse hob die rechte Hand und stand auf.
»Wahrscheinlich nur Klatsch. Aber Sie wissen ja: Wir müssen jedem Hinweis nachgehen.«
Owens schwieg.
»Waren Sie schon immer Journalist?«
»Ja.«
»Für welche Zeitungen?«
»Ich habe in London angefangen.«
»Wo denn da?«
»Um Soho herum.«
»Wann war das?«
»Mitte der siebziger Jahre.«
»War Soho damals nicht voll von Sexclubs und Striptease-Lokalen?«
» Und mehr. Aber so was wird auf die Dauer ziemlich langweilig.«
»Ja, das habe ich schon mal irgendwo gehört.«
»Ich habe Ihren heutigen Artikel in der Oxford Mail gelesen«, sagte Morse, während sie nebeneinander zur Rezeption gingen. »Gute Schreibe!«
»Danke.«
»Sie haben das Viertel ›relativ‹ verbrechensfrei genannt …«
»Das war in dem Artikel von gestern.«
»Ach so …«
»Wir hatten im letzten Jahr nur einen Einbruch, und seit der Stadtrat die Schwellen auf der Fahrbahn hat anbringen lassen, gibt es hier keine jugendlichen Joyriders mehr. Unter Zerstörungswut haben wir allerdings nach wie vor zu leiden – die jungen Bäume hinten haben Sie ja gesehen –, ebenso unter Müll und Graffiti … Und neulich hat jemand fast alle Riegel an den hinteren Gartentoren abgeschraubt – diese Dinger, die klicken, wenn man das Gartentor zumacht.«
»Erstaunlich, daß es dafür Abnehmer gibt«, bemerkte Morse.
»Namensschilder aufzustellen ist verlorene Liebesmüh. Ein kleines Schild, das ich am vorderen Gartentor angebracht hatte, hat sich gerade mal acht Tage gehalten. Und wissen Sie, was draufstand?«
Morse betrachtete die Phalanx der Zeitungsmacher vor ihren Bildschirmen an den mit Eingangskörben, Ausgangskörben, Aktenkästen und Handbüchern vollgestellten Schreibtischen, auf denen Texte für künftige Ausgaben der Times, der Mail, des Journal und des Star der Durchsicht und Genehmigung harrten.
»Bitte keine Anzeigenblätter einwerfen«, tippte er.
An der Rezeption gab
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