Der Tod Kam Mit Der Post: Aus Der Geschichte Der BRD-Kripo
Spur entdeckt wurde, mußte angenommen werden, er sei entführt worden. Merkwürdig war nur, daß sich die Entführer nicht sofort meldeten, wie das von den Kindesentführungen in anderen Ländern bekannt war. Daher mußte auch ein Sexualmord in Betracht gezogen werden. Erst 60 Stunden nach Joggis Verschwinden löste sich das Rätsel.
Kurz nach Mitternacht des 17. April erhielt Rene Goehner einen anonymen Telefonanruf. Der Anrufer teilte kurz und bündig mit, er hätte den Jungen gekidnappt und würde ihn nur gegen ein Lösegeld von 15000 DM zurückgeben. Das Geld müßte unverzüglich bereitgestellt werden. Jeder Tag Verzögerung würde die Lösegeldsumme um weitere 5000 DM erhöhen. Der Erpresser drohte, den Jungen zu töten, falls Goehner die Polizei benachrichtigte.
Dennoch verständigte der schockierte Vater die WKP, die sofort die diensthabende Mordkommission einschaltete.
Die für Kapital- und Roheitsverbrechen zuständige Inspektion I der Stuttgarter Kriminalpolizei rückte in voller Besetzung aus und schlug ihr Stabsquartier in der Kriminalaußenstelle Degerloch auf. Die Anhaltspunkte, auf die sie sich stützen konnte, waren dürftig. Sichere Hinweise für die Entführung gab es nicht.
Der Telefonanruf konnte ebensogut das Werk eines „Trittbrett-fahrers" sein, also eines Kriminellen, der lediglich „abstauben" wollte. Dennoch mußte die Drohung ernst genommen, alles Aufsehen vermieden werden. Die von der Polizei öffentlich verbreiteten Fahndungsmeldungen enthielten daher keinen Hinweis auf die Entführung, sondern nur die allgemeine Vermutung, möglicherweise könne ein Kapitalverbrechen vorliegen. Noch am 17. April wurde von zwei Hundertschaften der Bereitschaftspolizei, vierzig Hundeführern und dreißig berittenen Polizisten die Umgebung von Joggis Spielplätzen abgesucht. Kriminalbeamte stellten in Goehners Nachbarschaft, in Schulen, Kindergärten und Kinderheimen Nachforschungen an und ermittelten auch weiter gegen Joggis Mutter. Die normalerweise ruhige Kriminalaußenstelle Degerloch verwandelte sich in einen hektischen Generalstab, in dem pausenlos die Telefone klingelten, Meldungen eingingen oder abgesetzt wurden. Alle verfügbaren Polizisten waren der Einsatzleitung unterstellt. Der Stuttgarter Polizeipräsident selbst hielt sich die meiste Zeit im Einsatzstab auf. Das Landeskriminalamt, die Kriminalhauptstelle und die Landes-kriminaldirektion hatten ständige Vertreter dorthin entsandt.
Da Joggis Vater es ablehnte, den vom Entführer geforderten Geldbetrag bereitzustellen, versuchte der Einsatzstab, einen Geldgeber zu finden. Justiz und Polizeiverwaltung weigerten sich aus Prestigegründen und weil nicht sicher war, ob Anrufer und Entführer identisch waren, folglich der Verlust des Geldes befürchtet werden mußte. Privatpersonen oder wohltätige Vereine aber wollte die Kripo aus „Gründen der Geheimhaltung" nicht um die Summe bitten. Zu guter Letzt stellte die Stadtverwaltung den Betrag zur Verfügung.
Nun zerbrach sich die Kripo den Kopf, wie man im Falle des „Vertragsbruches" durch den Erpresser verhindern könnte, daß das Geld verlorenging. Man erwog, die Scheine zu präparieren oder durch Falschgeld zu ersetzen, kam davon aber ab, weil diese Manipulationen das Leben des Kindes gefährden konnten. Vom Notieren der Geldscheinnummern hielt die Einsatzleitung auch nicht viel, weil es ungewiß war, ob und wann einer der registrierten Scheine wieder auftauchen würde. Während die Einsatzleitung solcherart Entscheidungen erörterte, wurde Goehners Telefonanschluß überwacht und jedes ankommende Gespräch abgehört und erforderlichenfalls auf Band aufgenommen. Dazu hielten sich ständig zwei Kriminalbeamte in dem für Goehners Telefonanschluß zuständigen Wählamt 7 der Bundespost auf, das durch Fangschaltung alle Anrufe mit Angabe der Telefonnummer des Anrufers erfaßte. Sobald sich der Erpresser melden würde, sollte das Amt per Funk oder Telefon mit einem Codewort die Polizeizentrale benachrichtigten, damit diese das am nächsten stationierte Streifenfahrzeug zum Anrufungsort beordern konnte. Die Streifenwagen waren angewiesen, den Anrufer nicht sofort zu stellen, sondern zu beobachten und möglichst das Versteck des Kindes herauszufinden. Nur dann, wenn der Anrufer das Kind bei sich hatte, sollte zugegriffen werden. Zusätzlich zu den üblichen Streifenwagen der Schutzpolizei waren mehrere getarnte Fahrzeuge der Kripo, ausgerüstet mit Maschinenpistolen, Mehrladekarabinern,
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