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Der Tod kann mich nicht mehr überraschen

Der Tod kann mich nicht mehr überraschen

Titel: Der Tod kann mich nicht mehr überraschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Vullriede
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Ruhe gönnen, sagte sie. Morgen wollte sie bestimmt kommen. Aufgewühlt fuhr sich Marvin mit der Hand über den Kopf. Mehr als ein Büschel grauer Haare blieben zwischen seinen Fingern hängen.
»Bring mir Mützen mit!«, murmelte er ins Telefon. »Egal welche. Meine Haare fallen aus, auch die Augenbrauen.«
Dass auch die Haare um sein Genital herum ausfielen, behielt er für sich. Wenn er beim Waschen an sich herabblickte, fühlte er sich wie ein Baby, nackt und schlaff.

Endlich kam Lisa, bepackt mit Wochenzeitschriften und Mützen. Seinen Haarausfall nahm sie gelassener auf, als erwartet. Sie lachte ihn sogar ein wenig aus, was Marvin dann doch irgendwie störte.
»Ach übrigens, Jens hat mir einen kleinen Hund zur Probe mitgebracht, einen Yorkshire-Terrier. Sozusagen als vorzeitiges Geburtstagsgeschenk. Total süß! Er heißt Tobi. Vielleicht behalte ich ihn.«
Marvin überraschte es völlig.
»Einen Hund? Wann willst du dich denn um den kümmern?«
»Tagsüber bleibt er bei unserer Nachbarin. Du weißt schon, die alte Dame.«
»Aber du hast doch schon eine Katze.«
»Die schläft doch meistens. So ein Hund freut sich auf mich, wenn ich komme. Und weißt du was? Für den bin ich das Größte! Außerdem ist es so einsam, wenn aller Besuch fort ist.«
»Ich komme doch bald zurück. Dann wirst du nicht mehr einsam sein«, versprach Marvin.
Statt zu antworten, zog Lisa einen Zettel aus ihrer Tasche.
»Das sind die Telefonnummern, um die du mich gebeten hast.«
Marvin riss sie ihr fast aus der Hand.
»Beide?«
Er konnte es kaum glauben.
»Ja. Beide Namen gibt es in dieser Stadt nur einmal, und zwar im ganz normalen Telefonbuch. Ob das die Leute sind, die du meinst, weiß ich natürlich nicht. Wer sind sie?«
Er blickte verstohlen zur Tür, um sicherzugehen, dass niemand sie belauschen konnte. Dann flüsterte er hinter vorgehaltener Hand: »Das erzähle ich dir später. Ich brauche die Nummern für meine Nachforschungen. Ich sage dir, die benehmen sich wirklich verdächtig in diesem Krankenhaus.«
Lisa zog ihre Stirn kraus. »Was für Nachforschungen?«
Marvin hielt ihr seinen Zeigefinger vor die Lippen.
»Pssst …!«
Natürlich, wie sollte sie sich vorstellen können, dass hier ein Mensch erstickt wurde? Hier im Krankenhaus würde sie so etwas nie erwarten.
Als Lisa ihn küsste, um zu gehen, setzte sie ihm eine baumwollene schwarzgraue Seemannsmütze auf den Kopf.
»Damit siehst du wirklich besser aus!«
Drei andere Mützen quetschte sie in die Schublade.
Bevor sie das Zimmer verließ, sah sie ihn noch eine Weile nachdenklich an.
»Mach keinen Unsinn!«, sagte sie leise. Doch er konnte nichts anfangen mit diesem Satz.
Endlich alleine wählte Marvin Frederiks Telefonnummer, doch es meldete sich niemand. Dann – mit Lampenfieber und völlig ahnungslos, was er eigentlich sagen sollte, wenn jemand den Hörer abnehmen würde – wählte er die Nummer von André Hausner. Nach dem fünften Klingeln sprang der Anrufbeantworter an. Eine junge männliche Stimme sprach vom Band: fröhlich, als sei er nur mal eben weg und gleich wieder da. Als der Piepton ertönte, legte Marvin auf. Feige, wie damals als Kind. Bei einem zweiten Versuch öffnete sich die Tür. Hastig warf er das Telefon beiseite und verstaute den Zettel mit den Telefonnummern in seinem Nachtschrank.

Marietta und Jens brachten ihm eine Reihe populärwissenschaftlicher und recht anspruchsvoller Magazine mit. Endlich etwas Interessantes zu lesen, obwohl er jetzt lieber diesen Anruf getätigt hätte! Marvin überreichte Jens zum Austausch die ungelesenen Klatschzeitschriften von Lisa inklusive der drei Mützen, damit der Platz in seiner winzigen Schublade reichte. Jens hielt ein kitschiges Etwas in der Hand, das sich als gläserner Seifenspender mit einem Plastik-Hundekopf entpuppte. Nun ja, vielleicht eine Inspiration durch Lisas neues Haustier. War er vielleicht der geheimnisvolle Besucher, den Lisa ihm nicht verraten wollte?
Nach ein paar Floskeln über das nicht so schöne Wetter zog sich Marietta den einzigen Besucherstuhl im Raum unter den Po. Jens verzog den Mund und schleppte geräuschvoll einen Stuhl aus dem Besucherraum herein.
»Wo soll ich diesen komischen Seifenspender denn nun hinstellen?«, fragte er Marietta barsch.
Sie verdrehte die Augen. »Wohin wohl? Auf das Waschbecken natürlich!« Dabei wandte sie sich nicht einmal zu ihrem Mann um.
Schließlich saßen sie beide vor Marvins Krankenbett und lächelten ihn an. Doch sie lächelten nicht wie

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