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Der Tod kann mich nicht mehr überraschen

Der Tod kann mich nicht mehr überraschen

Titel: Der Tod kann mich nicht mehr überraschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Vullriede
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zurück und brachte sie zum Schweigen. Marvin blickte auf die Bettdecke, Julia auf den Boden.
»Du, Papa …«
Julia zog ›Papa‹ lang. Sie betonte es, als sollte eine Frage folgen, sah ihn von unten nach oben herauf an und wartete anscheinend auf eine Rückmeldung von Marvin, bevor sie weitersprechen wollte. Aus einem Gefühl heraus zögerte Marvin mit seiner Aufmunterung zum Weitersprechen. Sein Bauch sagte ihm, jetzt würde etwas gesagt, was er nicht hören wollte. Er bedauerte, keine Witze mehr zu finden und er wartete lange, bevor er ihr unwillig das Zeichen gab.
»Was ist, Julia?«
Sie kaute jetzt an ihrem Daumennagel. »Ich muss dir etwas beichten!«
Er hatte es gewusst.
»Was?«
»Dir wurde doch mal dein BMW geklaut.«
Marvin nickte.
»Der Silberne, für den du auch das Geld von der Versicherung bekommen hast.«
Einen hörbaren tiefen Atemzug später aus ihrem Mund: »Das waren wir!«
Marvin blieb bewegungslos sitzen.
»Und wer ist ›wir‹?«
»Christoph und ich.«
»Christoph und du? Oder nur Christoph?«
»Wir beide!«
»Was habt ihr mit dem Wagen gemacht? Eine Spritztour?«
»Wir brauchten Geld. Und du hattest ja auch eigentlich keinen Schaden dadurch. Immerhin hat die Versicherung gezahlt. Das wussten wir ja!«
»Ihr habt ihn verkauft?«
»In Amsterdam!«
»Was habt ihr dafür bekommen?«
»Das war ja die Scheiße! Einen Dreck haben wir bekommen! Ganze Zweitausend … und einen Tritt in den Hintern.«
»Zweitausend? Für einen drei Jahre alten 5er BMW? Seid ihr getrost? Mit wem habt ihr euch denn da eingelassen?«
»Wir konnten nichts dazu. Wir hatten ja schließlich keinen Brief und der Wagen sprang nicht richtig an. Der ging ja dauernd aus.«
Marvin erinnerte sich. Als der Wagen gestohlen wurde, sollte er am nächsten Tag eigentlich in die Werkstatt. Die Zündanlage!
»Wir hatten wirklich nur Ärger mit dem Wagen, ehrlich. Und pleite waren wir nach der ganzen Aufregung immer noch.«
Das klang Marvin nach einer unterschwelligen Anklage gegen ihn.
»Du wolltest dich jetzt aber nicht bei mir beschweren, weil der Wagen reparaturbedürftig war, oder?«
»Nein.« Sie sagte es kleinlaut. »Natürlich nicht. Ich wollte es nur beichten, bevor …«
»Bevor was?«
»Bevor ich es dir nie mehr sagen könnte!«
Julia fiel ihm während ihrer Worte schluchzend um den Hals. Er hielt sie fest, nur mit rechts, drückte ihren Kopf an seine Brust und sie weinte und rotzte seinen Schlafanzug nass, wie ein Kleinkind. Marvin war nicht einmal fähig, die eigenen Tränen von seinen Wangen zu wischen. Dieser unbrauchbare Arm auf seiner linken Seite hinderte ihn daran. Sie fielen auf Julias Haar, das jetzt ganz zerzaust und vom angefeuchteten Haarspray verklebt, in einem Wirrwarr über ihrem rot verheulten Gesicht abstand.
»Dieser Christoph ist kein guter Umgang für dich!«, sagte er und er hatte es schon immer gewusst, dass dieser Kerl seine Tochter zu kriminellen Taten oder Drogen verführen würde.
»Aber ich liebe ihn doch!«
Sie rappelte sich entrüstet hoch, versuchte erfolglos ihr Haar zu glätten und ihr Gesicht mit den bloßen Händen zu trocknen. Marvin gab ihr ein Taschentuch.
»Kind, denk doch mal vernünftig darüber nach. Du bist noch so jung! Du kannst noch so viele nette junge Männer kennenlernen.«
Geräuschvoll schnäuzte sie in ihr Taschentuch.
»Liebe kennt keine Vernunft! Das hast du selbst mal gesagt.«
Das sollte er gesagt haben? Marvin konnte sich nicht erinnern, aber auf sein eigenes Leben übertragen konnte das zutreffen. War seine Hingabe zu Lisa vernünftig oder seine Eifersucht nachvollziehbar? Er widersprach Julia nicht. Nicht jetzt! Wozu auch? Ihre Entscheidung für diesen Taugenichts stand schon lange. Was bedeutete schon der Rat eines alten kranken Mannes? Der Einzige, der daran etwas ändern konnte, war der Taugenichts selbst.
Nachdem sie sich ihr Gesicht mit einem von Marvins Waschhandschuhen gewaschen und gekühlt hatte, beruhigte sich Julia wieder. Sie sah ihn an und brachte ihm dann auch ein nasses Tuch. Fürsorglich tupfte sie um seine Augen herum.
»Du, Papa …«
Von dem viel zu nassen Lappen tropfte es kalt in seinen Halsausschnitt.
»…hast du eigentlich schon ein Testament gemacht?«
Marvin stoppte abrupt mit seiner Rechten ihre Hand mit dem tropfenden Tuch und hielt sie fest.
»So weit ist es noch nicht!«, sagte er schroff und wollte noch hinzufügen, dass sie das ihrem Christoph ruhig ausrichten könnte. Doch er schloss seinen Mund so fest, wie er ihre Hand umklammert

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