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Der Tod kann mich nicht mehr überraschen

Der Tod kann mich nicht mehr überraschen

Titel: Der Tod kann mich nicht mehr überraschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Vullriede
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sein – Ihr Tod?«
»Er wird sein, wie der Schaum auf sündhaft heißem Badewasser, der aufhört, sich mit dem Atem über der Brust hin und her zu bewegen.«
Der junge Schriftsteller öffnete erstaunt den Mund. Dann suchte er aufgeregt nach einem Stift in seiner Jacke und begann, in sein Notizbuch zu kritzeln. Er schrieb noch viel an diesem Vormittag und er machte ein paar Fotos von Marvin, wie er im Krankenbett lag, mit dem Album im Arm.
»Wenn es so weit ist, dürfte ich Sie dann auch fotografieren?«
Marvin unterschrieb ihm ein Formular, in dem er sein Einverständnis dazu gab.

Auf die Rückkehr ins Krankenhaus bereitete sich Marvin dieses Mal besser vor, als bei seinem ersten Besuch. Damals hatte er seinen Aufenthalt dort als schnell vorübergehende Notwendigkeit betrachtet. Mal eben Medikamente zu sich nehmen, wieder nach Hause fahren, Besserung abwarten. Das Gespräch mit dem Arzt hatte er schlicht verdrängt. Dass sein Aufenthalt dort zu einem Teil seines Lebens werden würde, wäre ihm nicht in den Sinn gekommen. Vielleicht sogar zu einem Großteil seines Restlebens!
Nun packte er selbst die Tasche, auch wenn Lisa sich mit tausend guten Ratschlägen einmischen wollte. Er ließ es sich nicht nehmen. Das Packen dauerte Stunden, viele Sachen musste er sich bringen lassen. Doch Marvin ließ sich die Zeit. Wozu eilen?
Lisa stand schließlich hinter ihm und er spürte ihre Blicke im Nacken. Doch nicht allein ihre Blicke berührten ihn. Es waren ihre Gedanken. Sie schienen ihm fliegenderweise den Raum auszufüllen, leicht, federnd, sanft, und er glaubte, er könnte sie einfangen, wenn er seine Finger danach ausstreckte. Marvin drehte sich um. Sie sah traurig aus.
»Ich weiß«, sagte er. »Ich habe auch Angst vor dem, was kommt.«
»Das war genau das, was ich dachte«, flüsterte sie überrascht und kam zu ihm.
Marvin zog Lisas Kopf herunter und küsste ihren Mund. Vielleicht würde er nicht mehr viele solcher Küsse erleben dürfen.
»Hoppla – ich störe wohl!«
Basti stand im Türrahmen, grinsend, wie sonst. »Soll ich deine Tasche nehmen?«
Marvin löste sich von der bezaubernden Lisa und nickte.
»Ich bin gleich so weit.«
Bevor sie jedoch losfuhren, blieb Marvin eine Weile alleine im Schlafzimmer zurück und es gelang ihm noch, die beiden alten Pornohefte unter dem Nachtschrank hervorzuholen. Schnell verstaute er sie zusammen mit dem Testament in der Seitentasche der Gepäcktasche. Irgendwo musste sich doch eine Möglichkeit ergeben, sie unentdeckt loszuwerden.
Im kahlen Gang der Station drang ihm als erstes der Geruch von Desinfektionsmitteln in die Nase. Ein Geruch, der sofort Empfindungen in ihm hochriss. Keine angenehmen Erinnerungen! Basti schob ihn mit dem Rollstuhl am Schwesternzimmer vorbei und verstohlenen Blickes registrierte Marvin die Anwesenheit Schwester Sabines. Sie sah kurz vom Schreibtisch auf und erwiderte Bastis Gruß mit einem sachlichen Nicken.
Marvin bezog dasselbe Zimmer, wie zuvor - 832 - und auf den Betten lag die gleiche gelbe Bettwäsche, die ihn so angewidert hatte. Gelbe Kissen! Während er im Rollstuhl sitzend alleine vor dem Bett auf Basti wartete, der Formalitäten erledigte, lächelte Marvin ein wenig vor sich hin. Er erinnerte sich an das Kissen auf seinem Gesicht und wie Schülerin Elke ihn dabei erwischt hatte. Schlimmer konnte es kaum kommen. Aber doch! Schlimmer war der Gedanke an Schwester Sabines Hals zwischen seinen Fingern und noch schlimmer die Augen der Schwestern beim Anblick seiner eingenässten Matratze. Inzwischen trug Marvin tagsüber so eine Art große längliche Damenbinde, die er ganz schrecklich fand. Aber es passierte immer mal wieder, dass er das Wasserlassen nicht spürte und dieses Ding bewahrte ihn vor einem überraschend nassen Schritt. Für die Nacht verpackte man ihn in eine riesige Windel, da er jeden zweiten Morgen klatschnass aufwachte.
»Der Fernseher ist jetzt freigeschaltet«, unterbrach ihn sein Bruder. Geräuschvoll warf er die Tür hinter sich zu. Dann fummelte er mit der Fernbedienung herum. »Verdammt noch mal, der muss doch starten.«
Schon klopfte er mit der Faust gegen den Apparat, der unter der Decke des Zimmers hing. Es tat sich nichts und Basti rüttelte unsanft am Gehäuse. Plötzlich riss eine Halterung und der große Kerl fing das schwere Gerät gerade noch mit beiden Armen auf, bevor es zu Boden krachen konnte.
»Scheiße!«, rief er, während Marvin sich die Rechte vor die Augen hielt, um das Missgeschick nicht mit ansehen zu

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